Wer kann, der coacht

Kabarett Vom Schuldenberg bis zur Ernährungsberatung – Die Distel aus Berlin nimmt mit „Die Klöckner von Instagram“ die Absurditäten der Zeit auseinander.

Gibt es Kabarett auf dem Mars? Im Moment wahrscheinlich nicht, aber nach Meinung eines Tech-Großunternehmers mit E-Autofabrik in Brandenburg wäre das schon bald möglich: Ginge es nämlich nach ihm, spielte das legendäre Hauptstadtkabarett Distel demnächst janz weit draußen im Sonnensystem. Natürlich ist das eine dieser typischen Schnapsideen, wenn es heißt, irgendetwas sei nicht mehr wettbewerbsfähig und müsste schnellstens markttauglich gemacht werden.

So beginnt „Die Klöckner von Instagram“, das neue Programm der Distel. Es ist die erste Show in der Amtszeit von Frank Voigtmann, der seit September 2025 als künstlerischer Leiter der Distel fungiert, wo er bereits seit Jahren als Autor, Regisseur und Darsteller zu erleben war. Der Text stammt von einem Autorenkollektiv der Distel, inszeniert hat Voigtmann selbst.

Gegründet wurde die Distel 1953, doch nun ist sie dort, wo – nicht nur in Berlin – viele Kultureinrichtungen derzeit stecken: In der Krise! Also lässt man sich coachen. Und muss feststellen, dass sogar ein paar Politiker im Bunde sind, was freilich niemand wissen darf. Zwar rieselt der Putz von der Decke, wenn die Musiker zu doll in die Tasten hauen, dafür sollen die Kabarettisten – nice! – mit Jugendsprache glänzen.

Albert Einstein und seine Relativitätstheorie werden bemüht, auch der Schuldenberg der Deutschen Bahn wird kurz bestiegen, was bei einer Höhe von 22 Milliarden kein leichtes Unterfangen ist – nicht einmal für die famosen Bühnenprofis Nancy Spiller, Timo Doleys und Stefan Martin Müller. Die springen vom Klimaschutz – „Wir reiten auf Kamelen durch Berlin“ – ohne Umschweife zum absonderlichsten High-Tech-Zubehör für die Küche, das mangels Updates in kurzen Abständen ausgetauscht werden muss: Wegwerfproduktion mit Herstellergarantie! Der Genderwahn, die Chinesen, das neueste Smartphone, in der Distel werden alle Auswüchse unserer so oft schauerlichen Gegenwart scharfzüngig seziert – und dann köstlich-komisch wieder zusammengesetzt.

Auf der Bühne stehen lediglich ein paar Stühle und Plastikboxen herum und bieten viel Raum für die schrägen Sketche und die herzhaft-kluge Gesellschaftskritik, die hier mit pointensicherer Geschmeidigkeit serviert werden. Das brachte das Publikum schon in der ersten Voraufführung zum begeisterten Lachen und einverstandenen Applaudieren.

Dabei ist manches ganz schön bitter: Das Pärchen auf Wohnungssuche etwa, das sich die alte Bleibe wegen der Mieterhöhung nicht länger leisten kann. Oder die genervte Frau Major, die mit ihren Soldaten die Nato-Ostflanke schützen soll, doch ihr höchstens bedingt kriegstüchtiges „Benjamin-Blümchen-Bataillon“ verschwindet ab 13 Uhr ins Home-Office. Oder die hundertjährige Oma, der von der Verwandtschaft eine Ernährungsberatung geschenkt wird, bei der die erste Frage lautet, wann sie zuletzt über Essen nachgedacht hat. Trocken antwortet sie: „1945“.

Ja, die Jahre verfliegen, weshalb die Darsteller den fidelen Song zelebrieren: „Für immer mehr brauchen wir / immer weniger Zeit“: Vom „Kaffee to go“ über „Auto to go“ bis zu „Begräbnis to go“. Der Alltag ist absurd, die Welt dreht frei, aber beim Coaching streitet man darüber, wie kurz die Begrüßung der Leute im Saal sein muss, um die Aufmerksamkeit der GenZ nicht überzustrapazieren, also „Herzlich willkommen“ oder bloß „Willkommen“.

Merz und Klöckner als Parodie

In Sachen Politiker-Parodie ist die Distel ohnedies unübertroffen: Die zierliche Nancy Spiller stapft auf kothurnhaft dicken Sohlen den Riesen von Friedrich Merz ins diskursive Abseits. Timo Doleys dominiert als überfordert-schrille Julia Klöckner das Bundestagsplenum und ermahnt die „Hinterbänkler ohne Buhruferlaubnis“. Stefan Martin Müller kann sich als Anton Hofreiter nicht entscheiden, wer er eigentlich ist.

Müller gelingt überdies der berührendste Moment des Abends, wenn er leise das Lied „Kleine, weiße Friedenstaube“ anstimmt - statt mit Ideologie und Fraktionszwang nur mit Verstand und Gefühl. Bestes politisches Kabarett kann auch genau das: Aufspießen und aufheitern, Wärme und Wut, Empathie und Kritik. Krise? Nicht in der Distel!

Vorstellungen bis 15.11., Distel, Friedrichstraße 101, Berlin-Mitte, Tickets: 030 2044704 und distel-berlin.de

Tribut an herrliche Police-Zeiten

Konzert Superstar Sting begeisterte in der Berliner Uber Arena mit einer endlosen Hitgala – 13.000 Fans feierten mit.

Berlin. Die Schwarzmarktlage eines Konzerts ist immer auch ein Gradmesser, wie es um einen Musiker steht. Am Donnerstagabend spielte Sting in der Uber-Arena, Fassungsvermögen bei dieser Show 13.000 Zuschauer. Das Konzert der „Sting 3.0“-Tour war restlos ausverkauft und es gab praktisch keine Ticketangebote vor der Halle.

Was macht Sting so beliebt? Immerhin steht er nicht wie die Rolling Stones, Neil Young oder Bruce Springsteen für eine bestimmte Ära oder Attitüde, die einen speziellen Nostalgieeffekt bei den Fans auslöst. Eher ist der gelernte Lehrer ein Konsenstyp für die Mittelschicht. Er setzt sich für das Gute in der Welt ein (Amnesty) und lebt bewusst (Yoga). Inzwischen hat er zwei Ehrendoktortitel. Einen bekam er für sein Umweltengagement, einen für sein großes Musiktalent.

Davon hat er in der Tat überreichlich, wie er auch in Berlin unter Beweis stellt. Seine Setlist ist eine fast ununterbrochene Hitliste. Interessanterweise sind es keine Songs, die ein bestimmtes Lebensgefühl beschreiben, sondern es sind einfach supertolle Songs, die kaum jemandem nicht gefallen können. Jedenfalls, wenn man noch mit herkömmlicher Rockmusik sozialisiert ist.

Das sind die meisten in der Uber-Arena offenbar. Deshalb gehen sie auch gleich begeistert mit, als der 74-jährige Weltstar mit dem Aussehen eines 60-jährigen Nichtweltstars mit dem Song „Message In A Bottle“ in den Abend einsteigt. Es ist einer der Hits seiner Band The Police, mit der er in nur wenigen Jahren von 1977 bis 1984 die Popwelt beherrschte. Gordon Matthew Sumner alias Sting war ihr dominierender Songschreiber und Frontmann. Als The Police Ende der 1970er auf der Bildfläche erschienen, spielten sie einen extrem rauen New-Wave-Stil mit schneidenden Gitarren, durchsetzt von Reggea-Elementen.

Auch in Deutschland war die Band beliebt. Einige Hitsongs sind sogar hier entstanden, zum Beispiel „Walking On The Moon“, das Sting am Donnerstag in einer fast schon psychedelischen Version darbot. Den Song hatte er in einem Münchner Hotel geschrieben. Das Gitarrenriff von „Message In A Bottle“ fiel ihm 1979 auf der Autobahn zwischen Düsseldorf und Nürnberg ein. Das erzählt Sting an diesem Abend nicht, aber ein paar herzliche Worte in Deutsch schenkt er dem Publikum. Er drückt den „Damen und Herren“ sein Glücksgefühl über das Hiersein aus. Ansonsten lässt er seine Musik für sich sprechen.

Gleich nach dem Opener spielt die als Trio besetzte Band „I Wrote Your Name“, den einzigen neuen Song. Ansonsten ist alles bekannt. Die Hits aus der inzwischen ziemlich langen Nach-Police-Solophase: „Englishman In New York“, „Desert Rose“ oder „Fields Of Gold“. Und natürlich Police-Oldies. „So Lonely“, „Wrapped Around Your Finger“ oder „King of Pain“ – an die zehn Police-Songs singt Sting.

Das kann man auch als altersmilde Entscheidung werten, wenn man bedenkt, dass sich Sting und Kollegen ziemlich oft gezofft haben. Erst jüngst ist Sting von seinen Ex-Bandkollegen Andy Summers und Steward Copeland verklagt worden, weil die sich für ihr Zutun zu einigen Songs unterbezahlt wähnen.

Wie sehr sich Sting dadurch geschmäht fühlt, weiß man nicht. Was man merkt, ist, dass er mit seinen aktuellen Mitmusikern Chris Maas am Schlagzeug und insbesondere Gitarrist Dominic Miller, der seit 1991 an seiner Seite ist, ein sehr einvernehmliches Trio bildet. Sie verstehen es, den teilweise neu arrangierten Songs eine filigranere, komplexere Struktur zu geben.

Zuweilen geht es in Jamhafte über. Trotzdem werden die Hits nie unkenntlich (wir sind ja nicht bei Bob Dylan). So dürften Megahits wie „Every Breath You Take“ und „Roxanne“ im vollen Bewusstsein der Fans abgefeiert werden. Den Ausklang bildet das feinsinnige „Fragile“. Es passt.

Ex-Kiss-Gitarrist Ace Frehley mit 74 Jahren gestorben

Los Angeles. Ace Frehley, der frühere Lead-Gitarrist der Rockband Kiss, ist tot. „Wir sind tief erschüttert und untröstlich“, heißt es in einer Mitteilung seiner Familie. Er starb in der Stadt Morristown im US-Staat New Jersey. Der Musiker wurde 74 Jahre alt. Seine Sprecherin Lori Lousararian teilte mit, dass Frehley jüngst in seinem Haus gestürzt sei. Die genaue Todesursache wurde zunächst aber nicht bekannt.

Die Bandkollegen von Kiss würdigten den Verstorbenen als „wesentlichen und unersetzlichen Rock-Soldaten“ in den prägendsten Kapiteln der Band und ihrer Geschichte. „Er ist und wird immer ein Teil des Kiss-Erbes sein“, hieß es weiter.

Die Rock-Band Kiss wurde 1973 in New York gegründet und machte mit wildem Make-up, spektakulären Kostümen und theatralischen Live-Shows Furore. Damals gehörten neben Lead-Gitarrist Frehley der Bassist und Sänger Gene Simmons, Sänger und Gitarrist Paul Stanley und Schlagzeuger Peter Criss dazu. Zu den größten Kiss-Hits zählen unter anderen „I Was Made for Lovin' You“, „Rock and Roll All Nite“ und „Black Diamond“.

Frehley, mit dem Beinamen „Spaceman“, stand oft im silberfarbenen Kostüm und mit einem silbernen Stern-Make-up im Gesicht auf der Bühne. 2014 wurde Kiss in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.

Der gebürtige New Yorker Frehley verließ die Band 1982, um eine Solo-Karriere zu starten. 1996 war er bei der höchst erfolgreichen Reunion-Tour von Kiss aber wieder dabei. Zuletzt brachte Frehley 2024 das Rockalbum „10.000 Volts“ heraus.

Bereits 1999 waren die Kiss-Musiker mit einer Sternenplakette auf Hollywoods „Walk of Fame“ verewigt worden. Dort wurden am Donnerstag nach Angaben der Plaketten-Verleiher Blumen abgelegt.

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