Schienenverkehr Kunden der Deutschen Bahn können bald im neuen Zug mit 230 Kilometern pro Stunde durch Deutschland sausen. Der Konzern verspricht sich von ihm Zuverlässigkeit, Komfort und mehr Familienfreundlichkeit.
Es herrscht dichtes Gedränge auf dem auffallend sauberen Bahnsteig 7 am Berliner Ostbahnhof. Neben Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und der neuen Bahnchefin Evelyn Palla ist auch eine spanische Delegation angereist. Sicherheitskräfte und Polizei sperren den Bahnsteig ab. Der große Auflauf hat einen Grund: Die Deutsche Bahn stellt ihren neuen ICE L vor.
Die Deutschland-Premiere des ICE L begann am Freitag mit einem Eingeständnis der neuen Bahnchefin. „Die Bahn in Deutschland muss besser werden“, sagte Evelyn Palla, die seit Oktober Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG ist. Qualität solle an erster Stelle stehen, Exzellenz werde angestrebt. „Mittelmaß ist nicht genug.“ Der neue Zug solle genau das realisieren: Zuverlässigkeit, Komfort und mehr Familienfreundlichkeit.
L steht für Low Floor
Vom Komfort und der Familienfreundlichkeit konnten sich die Besucherinnen und Besucher der Zugvorstellung bei einer Führung durch den aus 17 Waggons bestehenden, 256 Meter langen Zug überzeugen. Die große Neuerung des ICE L besteht im stufenlosen Einstieg – daher auch das „L“ im Namen, das für „Low Floor“, also Niederflur, steht. Dieser ermöglicht nicht nur Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern einen barrierefreien Zugang zum Zug.
Alle Personen mit schwerem Gepäck, mit Fahrrädern – für die es acht Stellplätze gibt – oder mit Kinderwagen können komfortabler zu- und aussteigen, betont Carlos de Palacio y Oriol, Executive Chairman des spanischen Unternehmens Talgo. Das hatte nach einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag der Deutschen Bahn erhalten, die insgesamt 79 Züge bei Talgo in Auftrag gegeben hat.
Während eine Tür für Rollstuhlfahrer in der Nähe des Bordbistros über ein ausfahrbares Trittbrett verfügt, sodass die Rollen sich nicht im Spalt verkeilen, verfügen die übrigen 13 Waggontüren nicht über eine solche Vorrichtung. Ein Sprecher der Bahn erläutert, dass laut TSI-Norm (Technische Spezifikationen für die Interoperabilität) ausfahrbare Trittflächen erst ab einer bestimmten Spaltgröße vorgesehen sind. Auf den Strecken, auf denen der Zug hält, seien solche Trittflächen nicht erforderlich.
Nicht nur Ingenieure waren an der Konzipierung des Zuges beteiligt, sondern auch 1600 Testpersonen. Unter ihnen war auch Hans Joachim Wöbbeking. Er ist Mitglied einer begleitenden Arbeitsgruppe der Deutschen Bahn, die zur Herstellung der Barrierefreiheit im Sinne des Bundesgleichstellungsgesetzes mitwirken soll. Wöbbeking sitzt im Rollstuhl und war aktiv in den Prozess der Ausgestaltung eingebunden. Mit dem Ergebnis ist er sehr zufrieden: „Absolut gelungen. Der Einstiegsbereich ist optimal“. Bisher lag das Hauptproblem für Rollstuhlfahrer darin, dass sie auf fremde Hilfe angewiesen waren und mindestens einen Tag vor Abreise über ihr Kommen Bescheid geben mussten, damit eine Rampe bereitsteht. Bei der Infrastruktur der Bahnhöfe müsse jedoch noch weiter investiert werden, teilt er mit.
Genau das würde die Bahn derzeit tun, betonte Evelyn Palla. „Über 100 Milliarden Euro bis 2029 stellt der Bund zur Verfügung“, so die Bahnchefin, die sich dafür gleich beim anwesenden Verkehrsminister bedankte. Diese würden dafür genutzt werden „in Schienen, in Bahnhöfen, in Weichen“ zu investieren. Und natürlich in die Zugflotte, deren Durchschnittsalter bis 2028 von 17 Jahren auf 15 Jahre sinken soll, wie Verkehrsminister Patrick Schnieder verkündete.
ICE L fährt auch von Berlin
Noch in diesem Jahr sollen die ersten ICE-L-Züge starten, die mit viel Platz für Taschen und Rucksäcke über den Sitzen, Tablet-Halterungen an den Tischen und je Sitz mit einer Steckdose ausgestattet sind. Von Berlin aus werden sie verkehren. Mit dem Fahrplanwechsel am 14. Dezember pendeln sie zwischen Berlin und Köln. Täglich soll dann jeweils ein Zug um 7.10 Uhr von Berlin abfahren und nach knapp fünf Stunden in Köln ankommen. Um 15.36 Uhr geht es zurück nach Berlin. Zwischen Berlin und Wolfsburg kann der Zug seine Spitzengeschwindigkeit von 230 Kilometern pro Stunde erreichen, sofern die Schienenauslastung dies zulässt.
Ab 2026 sollen weitere Strecken hinzukommen. Für Mai 2026 ist die Verbindung von Berlin über Hamburg nach Sylt geplant. Ab Juli 2026 soll der ICE L ab Frankfurt am Main über Gießen, Köln und Münster nach Westerland (Sylt) verkehren sowie zwischen Dortmund und Oberstdorf im Oberallgäu. Perspektivisch sollen auch Städte wie Amsterdam, Kopenhagen und Wien vom neuen ICE L angefahren werden.
Von den 79 bestellten Zügen sollen bis 2026 bereits 23 im Wert von insgesamt 550 Millionen Euro ausgeliefert werden. Gewartet werden sie zunächst von Talgo in der Nähe der Warschauer Straße in Berlin und später in Berlin-Rummelsburg. Für die schwere Instandhaltung nach einer Laufzeit von circa fünf Jahren werden die Züge im neuen Instandhaltungswerk in Cottbus gewartet und generalüberprüft. Leider ist dies der einzige Bahnhof in Brandenburg, der vom ICE angefahren wird. Wer zusteigen möchte, muss nach Berlin.