Planeten im Dreivierteltakt

Klassik Als „Walzerkönig“ ging er in die Musikgeschichte ein: Vor 200 Jahren wurde der Komponist und Kapellmeister Johann Strauss (Sohn) in Wien geboren.

Jeden Tag wird die vergoldete Bronzefigur von Touristen aus aller Welt fotografiert: das berühmte Denkmal für Johann Strauss (Sohn) im Wiener Stadtpark, das den „Walzerkönig“ als Stehgeiger zeigt. So wie die ihn umrahmenden Frauenskulpturen seinen Klängen zu lauschen scheinen, waren auch die Menschen im 19. Jahrhundert von seiner Musik begeistert – und das gilt bis heute. 1,4 Millionen Nutzer soll die Spotify-Playlist mit seinen Werken monatlich haben. Schuf er doch Melodien, die einen in schwierigen Zeiten vergessen ließen, „was doch nicht zu ändern ist“, wie es in der Operette „Die Fledermaus“ heißt.

200 Jahre ist es am Sonnabend her, dass das Musikgenie im Wirtshaus „Zur goldenen Ente“ in Wien zur Welt kam und wenig später in der Pfarrkirche Sankt Ulrich auf den Namen Johann getauft wurde. Er war das erste Kind der Wirtstochter Maria Anna Streim und ihres Gatten, dem Komponisten und Kapellmeister Johann Strauss („Radetzky-Marsch“). Drei weitere Söhne und zwei Töchter folgten. Das hielt den Vater nicht davon ab, das verdiente Geld mit Glücksspiel und Affären durchzubringen. Nach dem sechsten Kind verließ er die Familie für eine andere Frau, mit er schon mehrere uneheliche Kinder gezeugt hatte – acht wurden es insgesamt.

Nach der Scheidung setzte Mutter Anna all ihre Hoffnung in ihren ältesten Sohn, der das musikalische Talent geerbt hatte. Eigentlich hatte ihr Mann als Teufelsgeiger mit Joseph Lanner den Walzerrausch nach dem Wiener Kongress begründet. Doch nun rückte die nächste Generation nach. Der Filius feierte 1844 in Hietzing einen fulminanten Auftritt. Die Presse kommentierte begeistert: „Gute Nacht Lanner. Guten Abend Strauss-Vater. Guten Morgen Strauss-Sohn.“ Als der Vater 1849 an Scharlach starb, war der Weg frei für den Junior. Johann übernahm dessen Orchester und startete durch.

Verlassen konnte er sich auf „die Firma“: Die Mutter sorgte dafür, dass auch die Söhne Josef und Eduard ins Musikbusiness einstiegen. Sie sprangen als Dirigenten ein, wenn der große Bruder wegen Krankheit ausfiel. Zum Komponieren brauchte dieser übrigens Regenwetter. So entstanden Hits wie die „Demolirer“-, „Annen“- und „Tritsch-Tratsch“-Polka, Walzer wie „Wein, Weib und Gesang“, „Wiener Blut“ und „An der schönen blauen Donau“. Mit Letzterem wird in Wien der Jahreswechsel eingeleitet. Und Regisseur Stanley Kubrick verwendete den „Donauwalzer“ in seinem Science-Fiction-Meisterwerk „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968): Die Planeten kreisen im Dreivierteltakt.

Tourneen führten Johann Strauss zu Mega-Konzerten nach Boston sowie quer über den europäischen Kontinent. Von Sankt Petersburg aus hatte man die Eisenbahnlinie über die Sommerresidenz des Zaren hinaus nach Pawlowsk verlängert und dort eigens ein Unterhaltungszentrum errichtet. Von 1856 bis 1865 und 1869 bestritt der Künstler dort elf fünfmonatige Gastspiele. Seine Auftritte verschafften Strauss Zugang zu höchsten Kreisen.

Dazu kam eine perfekte Vermarktung samt Merchandising-Artikeln wie Hüten, Strümpfen und Krawatten. Wesentlichen Anteil daran hatten zuerst seine Mutter sowie nach deren Tod seine drei Ehefrauen Jetty, Lilli und Adele. Jetty, eine ehemalige Opernsängerin, war es, die ihren Gatten ermutigte, es auch einmal mit Operetten zu versuchen. Insgesamt 15 wurden es, mit dem „Zigeunerbaron“ als größtem Triumph zu Lebzeiten.

Tausende begleiten Trauerzug

Im ersten Stock der Wiener Praterstraße 54 ist bis heute Strauss’ einstige Wohnung zu besichtigen. Eine Brieftasche und eine Visitenkarte von ihm haben sich ebenso erhalten wie ein Spielkartenkästchen sowie ein Flügel der Klavierbaufirma Bösendorfer von 1896, dessen Chef Ludwig mit dem Komponisten befreundet war.

1884 mit dem Wiener Bürgerrecht geehrt, prägen Strauss’ Melodien bis heute das kulturelle Leben der Stadt. Die Beziehung zu Wien ist jedoch später komplizierter geworden: Um seine dritte Frau ehelichen zu können, nahm er 1886 die Staatsbürgerschaft des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha an. Diesen Wechsel hat ihm seine Heimatstadt lange nicht verziehen. Als Strauss am 3. Juni 1899 starb, nahmen dennoch Tausende Menschen am Trauerzug zum Zentralfriedhof teil, wo er ein Ehrengrab hat.

Symbol für Freiheit

Ein Schaukasten im Obergeschoss des Museums Barberini in Potsdam ruft Kindheitserinnerungen wach: ein holzgeschnitztes Tier mit üppiger Mähne, sein gedrechseltes Horn angriffslustig auf einen mit Schild und Speer bewaffneten Gegner gerichtet. Der lenkt den Angreifer listig zu einem Baum, in dem das Horn am Ende steckenbleibt. Dieses plastische Diorama aus dem Erzgebirge visualisiert eine Szene aus dem Grimm’schen Märchen „Das tapfere Schneiderlein“. Sie belegt, dass das Einhorn nicht erst im 21. Jahrhundert als Spielzeug in die Kinderzimmer eingezogen ist, sondern schon zuvor durch die Fantasiewelten galoppierte.

Erstmals geht die kunsthistorische Ausstellung „Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst“ der Geschichte und Ikonografie des Einhorns über mehr als 4000 Jahre nach. Zu sehen sind rund 150 Arbeiten von internationalen Leihgebern, neben Gemälden und Tapisserien auch illuminierte Manuskripte, Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken, die Michael Philipp, Chefkurator des Barberini, in über sechs Jahren Recherche zusammengetragen hat. Die Schau ist eine Kooperation mit dem Musée de Cluny in Paris, wo auch die zweite Station sein wird. In dem Pariser Museum ist der berühmte Tapisserie-Zyklus „Dame mit dem Einhorn“ eine Hauptattraktion. Der Zyklus blieb in Paris, nach Potsdam ausgeliehen wurde ein kleinerer Wandteppich mit dem Heiligen Stephanus, der von einem Einhorn bewacht wird. Das Werk gehört zu den zahlreichen Arbeiten, die erstmals ihren Aufbewahrungsort verlassen haben, um die Potsdamer Einhorn-Ausstellung zu bereichern, wie Ortrud Westheider, Direktorin des Barberini, betont.

Ursprünge liegen im Dunkeln

So auch das einzige Porträt eines Einhorns, das aus Schwerin kommt und als monumentales Bild zum Auftakt die Besucher begrüßt, 1572 gemalt von dem flämischen Künstler Maerten de Vos. Das Fabeltier, dessen reale Existenz um diese Zeit noch nicht angezweifelt wurde, ist kämpferisch und wehrhaft dargestellt, mit dem Kopf eines Hirschs, dem Körper eines Pferdes, einem Ringelschwanz wie bei einem Schwein und Elefantenfüßen. Darin folgt der Maler der Beschreibung des römischen Gelehrten Plinius, dessen Naturkunde aus dem 1. Jahrhundert lange als Referenz für die Darstellung von Einhörnern galt.

Flankiert wird das Gemälde von zwei Arbeiten der Fotokünstlerin Marie Cécile Thys, die mit einem weißen und einem schwarzen Einhorn auf das Symbol der Reinheit anspielt. Ein weiterer Höhepunkt in diesem Raum ist ein Wandteppich mit Jagdszenen aus dem 15. Jahrhundert, der aus der St. Gotthardkirche in Brandenburg stammt und im Zentrum ein Einhorn zeigt, das sich auf den Schoß Marias gerettet hat. Das wertvolle Stück gehört zu den Objekten, die eigens für die Ausstellung restauriert wurden.

Die Ursprünge des Einhorn-Mythos liegen im Dunkeln. Erste Legenden entstanden im indischen Raum und kamen über Persien und Alexandrien nach Europa. Aber auch in China breiteten sich vor mehr als 3000 Jahren Bildnisse des Fabeltiers aus. Das älteste Objekt der Ausstellung ist ein kleines Keramiksiegel mit Einhorn aus dem heutigen Pakistan, um 2000 vor Christus.

Erfahrbar werden die vielfältigen Zuschreibungen des Einhorns: Als Symbol für Freiheit und Unbezähmbarkeit dient es queeren Soldaten der ukrainischen Armee als Wappentier. Im Christentum wandelte sich die Vorstellung vom kämpferischen Einhorn zu einem Symbol für Christus und Zeichen von Keuschheit. Zahlreiche Bildnisse zeigen das Einhorn, dessen Kopf sich in den Schoß einer Jungfrau schmiegt, dem Sinnbild für Maria.

Das Horn des Fabeltieres gab immer wieder Rätsel auf. Erst im 17. Jahrhundert wiesen Naturforscher als Quelle den Narwalzahn nach. Pulverisiert wurde er als „Einhornpulver“ in Apotheken vertrieben, und bis heute führen zahlreiche Apotheken das Tier im Titel. Die heilende Wirkung leitete man aus dem Mythos ab, das Einhorn könne mit seinem Horn Wasser reinigen, wie es illustrierte Miniaturen mittelalterlicher Manuskripte zeigen.

Wie begehrt Einhorn-Objekte – und insbesondere sein Horn – bei Fürsten und wohlhabenden Bürgern waren, zeigt die Schau mit einer diskret ausgeleuchteten Kunst- und Wunderkammer. Dort ist der berühmte Narwalzahn St. Denis aus dem Musée Cluny ein Highlight neben Trinkpokalen sowie Meisterwerken der Elfenbeinkunst, darunter der sogenannte Rothschild Olifant.

Neue Welle der Begeisterung

Mit der Enttarnung des Einhorns als Fabeltier verlor es an Bedeutung. Erst im späten 19. Jahrhundert setzte eine neue Welle der Einhorn-Begeisterung in der Kunst ein, die bis heute anhält. Das zeigen Gemälde von Symbolisten wie Arnold Böcklin, Gustave Moreau und des US-Amerikaners Arthur B. Davies, der 1906 vier Einhörner mit weiblichem Akt in eine Fantasielandschaft stellt. Ein Blick auf die zeitgenössische Rezeption des Einhorns in der Kunst beweist, dass es heute vor allem Frauen sind, die sich dem Motiv zuwenden.

Ausstellung bis 1.2.2026, Mo/Mi–So 10–19 Uhr, Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstr. 5–6, Potsdam, www.museum-barberini.de

Ausstellung Auf den Spuren eines magischen Phantoms – das Museum Barberini in Potsdam zeigt das Einhorn als Motiv in Kunst und Kultur.

Bekenntnis in stürmischen Zeiten

Flensburg. Die norddeutsche Band Santiano bringt mit „Da braut sich was zusammen“ ihr siebentes Studioalbum heraus – und darf auf einen weiteren Charterfolg hoffen. Bereits das Debüt, „Bis ans Ende der Welt“ (2012), katapultierte Santiano an die Spitze der Charts. Und da landeten bisher alle Alben der Gruppe aus dem nördlichen Schleswig-Holstein.

In ihren Songs vermischen Santiano verschiedene Genres: Irish Folk, Pop, Rock und Shantys. Sie singen stimmgewaltig, oft hymnisch. Die Lieder handeln von Heim- und Fernweh, Liebe, Tod und Hoffnung. Auch in den 13 Tracks auf dem neuen Album bleibt die Band ihrem markanten Sound treu. In „Dann bin ich weg“ geht es um den Wunsch, einfach auszubrechen und in die Ferne zu schweifen. Tanzbare Hymnen sind auf dem Album ebenso zu hören wie nachdenklichere Lieder.

Titeltrack ist ein Statement

Santiano wollen aber auch eine Message verbreiten, wie sie Anfang des Jahres auf ihren Social-Media-Kanälen erzählten. Es kämen Dinge ins Rutschen, „über die wir seit zehn, zwölf Jahren mit euch singen, über Freiheit, Zusammenhalt, all diese Dinge“, sagte Sänger Björn Both in dem Videostatement, in dem alle Bandmitglieder zu sehen sind. Es habe sie „in den Fingern gejuckt, das eine oder andere Statement rauszulassen oder auch die eine oder andere Zeile zu schreiben“.

Die Band hat sich aber „eines besseren besonnen und ein Lied geschrieben, was genau unsere Gedanken und unsere Sorgen diesbezüglich auf den Weg bringt“, sagte Both. Im Titeltrack „Da braut sich was zusammen“ warnen Santiano davor, die Augen zu verschließen, denn „dunkle Wolken ziehen übers Land“. Weiter heißt es, „mein Freund, ich habe große Angst, vor dem, was da noch kommt.“ Sie hofften, „dass die Freiheit siegt und der Sturm vorüberzieht“. Die raue See wird zum Sinnbild für stürmische Zeiten.

Santiano: „Da braut sich was zusammen“ (Electrola/Universal); Live: 17.3., WT Energiesysteme Arena, Riesa; 11.4., Uber Arena, Berlin; 15.4., Quarterback Immobilien Arena, Leipzig; 25.4., GETEC Arena, Magdeburg

Musik Santiano-Songs erzählen von Heimat und Abenteuer, klingen groß und hymnisch – so auch auf dem neuen Album.

Von Herakles zu Superman: Ausstellung beleuchtet „Mythos Superhelden“

Hamburg. Das Archäologische Museum Hamburg geht in einer Sonderausstellung der Frage nach den Ursprüngen der modernen Superhelden auf den Grund. Bis zum 26. April 2026 sind Exponate zahlreicher Action-Figuren wie Superman, Wonder Woman und Nachbildungen antiker Statuen zu sehen. „Es gab schon in der römischen Antike Actionfiguren. Nämlich von Gladiatoren. Nur waren die nicht aus Plastik, sondern aus Ton“, sagt Museumsdirektor Rainer-Maria Weiss.

Die Schau „Superhelden – Von Herakles zu Superman“ wurde von Sammlern und Experten aus Italien zusammengestellt. Sie spannt einen Bogen von der griechischen und römischen Mythologie über literarische Vorbilder bis hin zu den heutigen Film-Blockbustern. Ergänzt werden die Exponate von Bildern der Künstlerin Swaantje Güntzel. Ihre Werke sind mit einer KI-Software entstanden und thematisieren die oft fehlende Gleichberechtigung in der Darstellung von Superhelden. „Ich bekam von der Software immer dünne, blonde, leicht bekleidete Damen entworfen. Ich habe dann versucht, der KI eine inklusive, diverse und repräsentative Truppe von Superheldinnen abzuringen.“ Die Darstellung einer Heldin im Rollstuhl sei fast unmöglich gewesen, berichtet die Künstlerin. Sie habe nächtelang daran gearbeitet, die KI für das Thema anzulernen.

Der erste Superhelden-Comic erschien 1938 mit Superman. Durch den Erfolg des Heftes kamen weitere Helden hinzu, darunter auch Wonder Woman, die erste Frau mit Superkräften. Erst Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre entstanden Comics mit nicht weißen Superhelden. Der erste war Black Panther.

Infos: amh.de

Zwischen Glücksgefühl und Risiko

Erfurt. Ein Jahr nach der Teillegalisierung des Cannabiskonsums in Deutschland widmet sich die Erfurter Stiftung „Welt der Versuchungen“ der Droge in einem Ausstellungsprojekt. Die Wirkung dieses Rauschgiftes sei vielfältig, individuell und nicht immer einfach zu verstehen, sagt Kuratorin Susanne Rockweiler. In der Ausstellung „Only good Vibes? Cannabis, Rausch und Realität“ wolle die Stiftung wissenschaftliche Erkenntnisse mit Kunst und interaktiven Installationen verbinden.

Die bis 18. Januar laufende Schau zeigt Werke von 15 Künstlern. Sie befassen sich etwa mit dem Rausch und den Wirkungen der chemischen Verbindungen im Körper, aber auch mit Glücksgefühlen und Risiken im Zusammenhang mit Cannabis. Beigestellt sind jeweils die aktuellsten Erkenntnisse der Suchtforschung.

Die Ausstellung geht zudem dem Mythos und der Realität der Hanfpflanze nach und beleuchtet Motive, Rituale und Risiken des Konsums. Dabei wird auch gezeigt, warum vor allem junge Menschen in der Wachstumsphase des Körpers informiert im Umgang mit Cannabis sein sollten.

„Gesetz schlecht ausformuliert“

Für den Mannheimer Suchtforscher Rainer Spanagel hat das Erfurter Projekt inzwischen internationale Strahlkraft entwickelt. Wissenschaftliche Kollegen weltweit blickten mit Interesse auf die Arbeit der Stiftung. Spanagel wurde eigenen Angaben zufolge bereits mehrfach gebeten, auf Fachkonferenzen über das Modell zu berichten.

Die Einrichtung und die aktuelle Ausstellung sind laut Spanagel umso wichtiger, da das vor einem Jahr in Kraft getretene Cannabisgesetz nicht wissenschaftsbasiert, sondern im politischen Raum entwickelt worden sei. „Dieses Gesetz ist sehr schlecht ausformuliert“, sagte Spanagel. Es sei nach wie vor für viele Aspekte des Gesetzes unklar, wie sie tatsächlich umsetzbar seien.

Infos: www.welt-der-versuchungen.de

Stiftung Die Schau „Only good Vibes?“ in Erfurt verbindet Wissenschaft und Kunst zum Thema Cannabiskonsum.

„Tausend Jahre schlechte Laune“

Essays Das Buch „Extremwetterlagen“ erkundet die Stimmung in Ostdeutschland vor den Landtagswahlen 2024.

Rheinsberg. In Rheinsberg wird sie sich keine Freunde gemacht haben, mit ihren Berichten über Stadt und Stadtgesellschaft. Manja Präkels begann in den 1990ern als Lokalreporterin der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ in Zehdenick, schrieb mit „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ über die Baseballschlägerjahre, war 2021 Stadtschreiberin in Rheinsberg. Im Sommer 2024 ist sie als Reporterin in Brandenburg unterwegs. Auch in Rheinsberg.

Sie beobachtet den Streit um das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum, ist beim ersten Rheinsberger CSD dabei und bei den Demos vor den Kommunalwahlen, bei denen Bürgermeister Frank-Rudi Schochow polarisiert. Ihr Resumee: „Die Wahl ist vorüber, der Streit ist es nicht.“

Die Impressionen aus Rheinsberg sind nur Teil einer Feldforschung, die vier Autorinnen und Autoren im Jahre 2024 in Ostdeutschland unternommen haben. Vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen waren sie als „Überlandschreiberinnen“ unterwegs, mit Fahrrad, Zug oder Auto.

Sie haben als Lokaljournalistinnen bei örtlichen Medien angeheuert, Friseursalons besucht, Kneipen und Stadtfeste, waren überall dort, wo man mit Menschen ins Gespräch kommen kann. Die Texte sind rund um die Landtagswahlen in diversen Medien erschienen, nun hat der Verbrecher Verlag sie unter dem Titel „Extremwetterlagen“ als Buch herausgebracht.

Mit dem Rad durch Sachsen

Die Leipziger Autorin Tina Pruschmann ist mit dem Rad in Sachsen unterwegs. Weil man in diesem Tempo leichter mit Menschen ins Gespräch kommt – und genauer hinschauen kann, etwa bei der Pause am Marktplatz. Mit dabei: Artem, ein ukrainischer Filmregisseur, der für sie fotografiert. Sein Rat: „You also need to speak to the bad guys“.

Was sich als nicht so leicht herausstellt. Wie sprechen mit Menschen, die mehrheitlich AfD wählen, die Plakate mit „Damit Sachsen Heimat bleibt“ und „Abschieben. Abschieben. Abschieben“ an die Litfaßsäule hängen und bei einer Demo eine Gruppe von Studierenden der Uni Leipzig wüst beschimpfen?

Und doch sind das die besten Passagen, wenn es den Autorinnen und Autoren gelingt, die eigene Blase der politisch Aktiven zu verlassen. Etwa, wenn Alexander Leistner einen Landschaftspfleger trifft, mit dem er vor 20 Jahren zu tun hatte und der nun AfD-Stadtrat ist – ein Gespräch wird das nicht, aber eine Begegnung. Oder die Soziologin Barbara Thériault, die im Zug Richtung Thüringer Wald das (weitgehend friedliche) Miteinander zwischen AfD-nahen 40-Jährigen, tunesischen Migranten, einem fitnessgestählten „Muskelmann“ und einem ukrainischen Pärchen beschreibt.

Am Ende ihrer Lokaljournalistinnen-Tätigkeit in Thüringen beschreibt Thériault die Stimmung: „Ein langer Tag am Ende eines schweren Sommers: politisch aufgeladen, wettermäßig kühl, geprägt von einer allgemein miesen Stimmung und einer diffusen, stets spürbaren Gereiztheit.“ Die Kolleginnen finden auch beim abendlichen Cocktail in der Panorama-Bar keine Entspannung.

Und Manja Präkels fasst die Erlebnisse am Schluss in einer Art Litanei zusammen: „Deutschland ist, wo der Besuch einer öffentlichen Toilette bald mehr kostet als ein Stück von einem lebendigen Tier. Deutschland ist, wo die Menschen morgens vorm Spiegel einüben, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Deutschland ist, wo sie sich streiten, ob der Osten oder der Westen schuld sind. An allem. Deutschland ist, wo alles sortiert werden muss und klar geordnet. Und tausend Jahre schlechte Laune gibt es gratis dazu“.

Lesungen: 12.11., 18.30 Uhr, Stadt- und Regionalbibliothek, Frankfurt (Oder); 13.11., 19 Uhr, Stadt- und Landesbibliothek, Potsdam

Im U-Bahnhof: Schau informiert über Karl-Marx-Allee

Berlin. Eine neue Ausstellung informiert in Berliner U-Bahnhöfen über die Architekturgeschichte der Karl-Marx-Allee. Die Schau setzt sich mit dem städtebaulichen Erbe der Nachkriegszeit auseinander, wie das Landesdenkmalamt mitteilte. Gestaltet sind damit die Zugänge der U-Bahnhöfe Schillingstraße und Weberwiese. Auf der Ebene der Bahnsteige sind außerdem künstlerische Fotos zu sehen, die sich mit Architektur, Atmosphäre und sozialer Wirklichkeit der Karl-Marx-Allee auseinandersetzen.

Die Ausstellung „Ost West Ost – Berliner Nachkriegsmoderne“ beleuchte die Architekturen und Lebenswelten im Gebiet der Karl-Marx-Allee – vom Beginn des Wiederaufbaus im Stil der Internationalen Moderne, über das „Bauen in Nationalen Traditionen“ zum Industriellen Bauen der Ostmoderne. Sie werfe zudem vergleichende Blicke auf das 1957 fertiggestellte Hansaviertel im früheren Westteil der Stadt sowie die Nachkriegsmoderne andernorts.

In Berlin verdichte sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit all ihren Brüchen und Widersprüchen wie kaum an einem anderen Ort, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zur Eröffnung. „Die Karl-Marx-Allee steht exemplarisch dafür: einst Prachtstraße der DDR – und zugleich Erinnerung an die Unfreiheit hinter den Fassaden des Sozialismus. Die Architektur beeindruckt bis heute.“ Die Ausstellung helfe, die Geschichte zu verstehen. Gerade, weil Jüngere die Teilung Berlins nicht mehr erlebt hätten, sei es wichtig, die Erinnerung wachzuhalten.

Laut Landesdenkmalamt ist beabsichtigt, mittelfristig auch im U-Bahnhof Hansaplatz eine Ausstellung zum Wiederaufbau in West-Berlin einzurichten.

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