„Tausend Jahre schlechte Laune“

  • War 2021 Stadtschreiberin in Rheinsberg: Autorin Manja Präkels schaut kritisch auf die Stadt. Martin Risken
  • „Extremwetterlagen. Reportagen aus einem neuen Deutschland“, Verbrecher Verlag, 206 Seiten, 20 Euro Verbrecher

Essays Das Buch „Extremwetterlagen“ erkundet die Stimmung in Ostdeutschland vor den Landtagswahlen 2024.

Rheinsberg. In Rheinsberg wird sie sich keine Freunde gemacht haben, mit ihren Berichten über Stadt und Stadtgesellschaft. Manja Präkels begann in den 1990ern als Lokalreporterin der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ in Zehdenick, schrieb mit „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ über die Baseballschlägerjahre, war 2021 Stadtschreiberin in Rheinsberg. Im Sommer 2024 ist sie als Reporterin in Brandenburg unterwegs. Auch in Rheinsberg.

Sie beobachtet den Streit um das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum, ist beim ersten Rheinsberger CSD dabei und bei den Demos vor den Kommunalwahlen, bei denen Bürgermeister Frank-Rudi Schochow polarisiert. Ihr Resumee: „Die Wahl ist vorüber, der Streit ist es nicht.“

Die Impressionen aus Rheinsberg sind nur Teil einer Feldforschung, die vier Autorinnen und Autoren im Jahre 2024 in Ostdeutschland unternommen haben. Vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen waren sie als „Überlandschreiberinnen“ unterwegs, mit Fahrrad, Zug oder Auto.

Sie haben als Lokaljournalistinnen bei örtlichen Medien angeheuert, Friseursalons besucht, Kneipen und Stadtfeste, waren überall dort, wo man mit Menschen ins Gespräch kommen kann. Die Texte sind rund um die Landtagswahlen in diversen Medien erschienen, nun hat der Verbrecher Verlag sie unter dem Titel „Extremwetterlagen“ als Buch herausgebracht.

Mit dem Rad durch Sachsen

Die Leipziger Autorin Tina Pruschmann ist mit dem Rad in Sachsen unterwegs. Weil man in diesem Tempo leichter mit Menschen ins Gespräch kommt – und genauer hinschauen kann, etwa bei der Pause am Marktplatz. Mit dabei: Artem, ein ukrainischer Filmregisseur, der für sie fotografiert. Sein Rat: „You also need to speak to the bad guys“.

Was sich als nicht so leicht herausstellt. Wie sprechen mit Menschen, die mehrheitlich AfD wählen, die Plakate mit „Damit Sachsen Heimat bleibt“ und „Abschieben. Abschieben. Abschieben“ an die Litfaßsäule hängen und bei einer Demo eine Gruppe von Studierenden der Uni Leipzig wüst beschimpfen?

Und doch sind das die besten Passagen, wenn es den Autorinnen und Autoren gelingt, die eigene Blase der politisch Aktiven zu verlassen. Etwa, wenn Alexander Leistner einen Landschaftspfleger trifft, mit dem er vor 20 Jahren zu tun hatte und der nun AfD-Stadtrat ist – ein Gespräch wird das nicht, aber eine Begegnung. Oder die Soziologin Barbara Thériault, die im Zug Richtung Thüringer Wald das (weitgehend friedliche) Miteinander zwischen AfD-nahen 40-Jährigen, tunesischen Migranten, einem fitnessgestählten „Muskelmann“ und einem ukrainischen Pärchen beschreibt.

Am Ende ihrer Lokaljournalistinnen-Tätigkeit in Thüringen beschreibt Thériault die Stimmung: „Ein langer Tag am Ende eines schweren Sommers: politisch aufgeladen, wettermäßig kühl, geprägt von einer allgemein miesen Stimmung und einer diffusen, stets spürbaren Gereiztheit.“ Die Kolleginnen finden auch beim abendlichen Cocktail in der Panorama-Bar keine Entspannung.

Und Manja Präkels fasst die Erlebnisse am Schluss in einer Art Litanei zusammen: „Deutschland ist, wo der Besuch einer öffentlichen Toilette bald mehr kostet als ein Stück von einem lebendigen Tier. Deutschland ist, wo die Menschen morgens vorm Spiegel einüben, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Deutschland ist, wo sie sich streiten, ob der Osten oder der Westen schuld sind. An allem. Deutschland ist, wo alles sortiert werden muss und klar geordnet. Und tausend Jahre schlechte Laune gibt es gratis dazu“.

Lesungen: 12.11., 18.30 Uhr, Stadt- und Regionalbibliothek, Frankfurt (Oder); 13.11., 19 Uhr, Stadt- und Landesbibliothek, Potsdam

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