„Kamikaze“-Biker fährt ins Gefängnis

  • Ein erfahrener Motocross-Fahrer, der allerdings keinen Führerschein hat, lieferte sich am Werbellinsee eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Jetzt ist das Urteil gefällt worden. Foto: Swen Pförtner/dpa

Prozess Weil er keinen Führerschein hat, leistet sich ein Motorradfahrer am Werbellinsee eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. War das ein Mordversuch?

Er hat es immer wieder getan, sogar noch mehrmals nach der Verfolgungsjagd mit der Polizei an jenem Sonntag Ende August 2024 in Eichhorst am Werbellinsee (Barnim). Obwohl er keinen Führerschein hat, stieg der 23 Jahre alte Berliner aufs Motorrad oder ins Auto. Und wenn sich ihm während der Fahrten Polizisten näherten, flüchtete er „kamikazeartig“, wie es die Vorsitzende Richterin Claudia Cottäus am Donnerstag in ihrer Urteilsbegründung am Landgericht Frankfurt (Oder) beschreibt.

Unbeteiligte kamen dabei zum Glück bislang nicht zu Schaden, wobei sich 2023 an einer Straße in Märkisch-Oderland zwei Bauarbeiter in letzter Sekunde nur mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen konnten, als der Berliner mal wieder auf der Flucht war.

Und bei der Tat vom Werbellinsee steht der Vorwurf des versuchten Mordes im Raum. Der Mann ohne Führerschein soll versucht haben, einen Polizisten, der ihm im Wald ebenfalls mit dem Motorrad dicht auf den Fersen war, mit einem bewussten Schlenker nach rechts abzuschütteln.

Mordversuch erkannt

Der Beamte hatte ausgesagt, dass er nur durch pures Glück nicht mit einem Baum kollidiert sei, als er instinktiv auswich und dabei kurz die Kontrolle über seine Maschine verlor. Der Aufprall am Baum wäre definitiv tödlich gewesen, zeigte sich der Polizist überzeugt. Vor allem wegen dieser Erklärung hatte das Amtsgericht Eberswalde den Fall wegen eines möglichen Mordversuchs an das Landgericht verwiesen.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft liegt jedoch nicht mehr als Fahren ohne Führerschein vor. Weil man es mit einem offensichtlich unbelehrbaren Wiederholungstäter und dazu noch einem Bewährungsbrecher zu tun habe, müsse allerdings eine Haftstrafe verhängt werden. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragt am Donnerstag in seinem Schlussplädoyer zehn Monate Gefängnis, was der Verteidiger des Angeklagten dankbar quittiert. „Ich habe dem Staatsanwalt eigentlich nichts hinzuzufügen“, sagt der Anwalt.

Die Strafkammer kommt in ihrem Urteil schließlich auf drei verschiedene Delikte: Fahren ohne Führerschein, versuchte Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Ein Jahr Haft lautet das Strafmaß. „Ein sehr mildes Urteil“, sagt die Vorsitzende Richterin.

Anders als die Staatsanwaltschaft, die in dem möglichen Schlenker des Angeklagten einen unbeabsichtigten Fahrfehler sieht, gehen die Richterinnen von einem bewussten und gewollten Manöver des Motorradfahrers aus. Der Flüchtende habe darin die einzige Möglichkeit gesehen, den Polizisten abzuschütteln und die Entdeckung der illegalen Fahrt zu verhindern. Der Angeklagte habe dabei einen möglichen Sturz des Polizisten samt Verletzung in Kauf genommen, sagt Claudia Cottäus.

Für eine Verurteilung wegen versuchten Mordes hätte man aber belegen müssen, dass der Motorradfahrer den Schlenker so berechnet hat, dass der Polizist beim Sturz mit dem Baum kollidieren würde, führt die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung aus. Es sei fernliegend und nicht zu beweisen, dass dies sein Ziel war und dass eine solche Berechnung bei der sehr dynamischen Verfolgungsjagd überhaupt möglich gewesen wäre.

In Berlin sind noch Fälle offen

Auch ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen liege hier nicht vor, erklärt Claudia Cottäus. Zwar habe der Motorradfahrer rücksichtslos agiert, aber die Leistungsfähigkeit seines Motorrads nicht ausgereizt, wie es das Strafgesetzbuch für eine Verurteilung nach Paragraf 315d verlange. Der Polizist habe ausgesagt, dass man im Wald mit ungefähr 50 Stundenkilometern „bequem“ unterwegs gewesen sei, sagt die Vorsitzende. Genau lasse sich das gefahrene Tempo nicht feststellen.

Dem Angeklagten steht nun bevor, dass aus einem Urteil des Amtsgerichts Strausberg (acht Monate auf Bewährung) und dem jetzigen Richterspruch eine Gesamthaftstrafe gebildet wird. Außerdem sind in Berlin noch drei Fälle des Fahrens ohne Führerschein offen. „Ich habe gelernt. Es gibt bei mir ein Umdenken“, erklärt der Angeklagte sehr freundlich in seinem letzten Wort.

„Das haben Sie bei jeder Verurteilung gesagt. Und dann sind Sie doch gleich wieder auf den nächsten fahrbaren Untersatz gesprungen, obwohl Sie keinen Führerschein haben“, hält ihm Claudia Cottäus in ihrer Urteilsbegründung entgegen. „Sie brauchen den Schuss vor den Bug. Wir können nur hoffen, dass die Haft bei Ihnen zu einem echten Umdenken führt.“

Für versuchten Mord hätte der Schlenker mit Tötungsabsicht erfolgen müssen.

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