„Die Vielfalt ist unser Klebstoff“

Mit viel Humor erkundet Wladimir Kaminer (58) seit 25 Jahren die deutsche Volksseele. Seine Geschichten haben einen ganz eigenen Sound. In seinem neuen Buch enthüllt der in Berlin und Brandenburg lebende Bestsellerautor russisch-jüdischer Herkunft auf charmant-witzige Art „Das geheime Leben der Deutschen“.

Herr Kaminer, Ihr Bestseller „Russendisko“ wird 25 Jahre alt. Wie wurden Sie zum Autor?

In jedem zweiten Haus in Ost-Berlin bildeten sich in der Wendezeit irgendwelche Diskussionsforen, Clubs oder Theatergruppen. Dort habe ich über lustige Sachen in der Sowjetunion referiert. 1995 bot mir ein „taz“-Redakteur eine Kolumne an. Ich fragte, worüber ich denn schreiben solle. „Egal“, meinte er, „Hauptsache in deiner Art. Schreib’ doch über Weihnachten bei den Russen!“ Davon handelte meine erste Kolumne. Dann habe ich gemerkt, dass ich viele Geschichten vergesse, weil immer etwas Neues kommt. Damit es nicht passiert, habe ich angefangen, sie aufzuschreiben. So entstand „Russendisko“.

In Ihrem neuen Buch, „Das geheime Leben der Deutschen“, heißt es philosophisch: „Um die Welt zu verstehen, musst du nicht das Ende der Welt suchen, sondern die Stelle, wo sie anfängt“. Ist das der Schlüssel zu den wahren Abenteuern?

Ich bin seit „Russendisko“ sehr aktiv in Deutschland unterwegs. Ich besuche jährlich 120 bis 150 Städte. Und immer wieder kommen neue dazu. Ich kenne niemanden, der so viel durch Deutschland reist und ins Gespräch kommt mit den Menschen. Ich habe auch Dokumentarfilme gemacht über deutsche Traditionen und Bräuche. Was ich alles gesehen und erlebt habe, das musste ich einmal aufschreiben.

Zugereiste, die Sie bei der Recherche zum Buch trafen, empfinden Deutschland wahlweise als „absolutes Traumland“, „perfektes Urlaubsland“ oder als „Land von Rittern und schönen Damen“.

Ich habe mich schon gewundert, was für verrückte Vorstellungen Ausländer von Deutschland haben. Aus welchen Romanen haben sie das nur? Aber inzwischen weiß ich, das alles gibt’s wirklich. Ich war gerade unterwegs auf der Deutschen Märchenstraße. Wie viele Burgen, Schlösser und tolle Ruinen es da gibt! Ich war auch auf dem Rapunzelturm am Reinhardswald. Ganz oben arbeitet Rapunzel in Teilzeit. Es kommen Touristen ohne Ende, vor allem aus China, um einmal mit Rapunzel ein Selfie zu machen.

Sie haben mehrere Jahre lang Ihre Urlaube nur in Deutschland verbracht. Was macht die deutsche Seele aus?

Es wird immer so dargestellt, als sei „Russendisko“ mein bislang größter Bestseller. Aber „Mein Leben im Schrebergarten“ hat sich in Deutschland noch besser verkauft. Und da ist wahrscheinlich die deutsche Seele zu Hause: In einem kleinen, ordentlichen Garten, wo keine Regierung, sondern eine einheimische Prüfungskommission das Sagen hat.

Sie schreiben über Hermann, den Cherusker, einst eine bedeutende Identifikationsfigur der Deutschen. Heute ist eher Udo Lindenberg eine Identifikationsfigur.

Natürlich hat Deutschland wie jedes Land eigene Stars, jüngere und ältere. Aber am stärksten identifizieren sich die Leute nicht mit Stars, sondern mit ihrer kleinen Heimat. Ich war zum Beispiel bei Schuhplattlern und Dirndldrahn im tiefsten Bayern. Fragen Sie da mal nach Udo Lindenberg! Den kennen die nicht.

Welche Identifikationsfiguren gibt es dort?

Das sind eher Gegenstände. Etwa die Lederhosen des Urgroßvaters. Der Urgroßvater war zu seiner Zeit der beste Schuhplattler, weswegen Neugeborene immer Sepp genannt werden. Damit sie die Initialen auf den Lederhosen nicht umnähen müssen. Man darf die ja nicht kaputt machen.

In der 3sat-Reihe „Kaminer Inside“ und im neuen Buch machen Sie sich ein Bild vom Brauchtum. Im bayerischen Greimharting etwa haben Sie dem örtlichen Trachtenverein einen Besuch abgestattet. Wie erklären Sie sich die Auferstehung des Dirndls und der Lederhose gerade unter jungen Menschen?

Auf jeden technologischen Sprung folgt eine große Lebensveränderung. Seit der Entstehung der digitalen Welt rasen wir mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in die Zukunft. Das geht viel zu schnell für die Menschen. Sie können ja nicht fliegen, sie brauchen schon Boden unter den Füßen. Deswegen suchen sie sich immer etwas, an dem sie sich festhalten können. Und wenn das Lederhosen sind.

Sie sind fasziniert von Volksfesten mit skurrilen Traditionen wie dem Dreckschweinfest in Hergisdorf. Warum feiern die Deutschen so gern „Orgien auf dem Land“?

Das sind keine Orgien, ich bitte Sie! Das ist das Dreckschweinfest in Hergisdorf bei Eisleben, das älteste Dreckschweinfest Europas. Dass Europa nichts davon weiß, ist sein Problem und nicht das von Sachsen-Anhalt. Die Leute dort haben mehrmals versucht, ihr Dreckschweinfest beim Unesco-Weltkulturerbe anzumelden. Aber die Unesco-Delegation kam immer zu spät dahin. Bei deutschen Traditionsfesten muss man halt zeitig da sein.

Können Sie die Faszination der Deutschen für ihre Traditionen nachvollziehen?

Jeder hat heutzutage sein eigenes Internet, seine eigene Musik im Telefon. In dieser Zeit ist es von großer Wichtigkeit, dass Menschen rauskommen und sich mit anderen an einen Tisch setzen. In diesem Buch beschäftige ich mich auch mit der Frage, was die Menschen noch zusammenbringt. Zum Dreckschweinfest kommen Leute eigens zurück in die Heimat. Einfach nur, um mit den Nachbarn zusammen ins Schlammloch zu springen.

Das erinnert an das Wacken Open Air. Dort strömen Tausende Heavy-Metal-Fans in den schlammigen Bereich vor den Bühnen.

Lachen sie dabei oder sind sie ernst?

Sie lachen dabei.

Okay, das ist etwas anderes. Weil das Dreckschweinfest schon eine ernste Angelegenheit ist. Es geht dabei um die Vertreibung von Winterdämonen.

Was hält Deutschland im Innersten zusammen?

Ich glaube, dass gerade diese Vielfalt Deutschland zusammenhält. Der Umstand, dass man sich ständig vergleichen kann. Wenn es zwischen Sachsen, Rheinländern und Friesen keinen Unterschied geben würde, könnte dieses Land nicht existieren. Aber gerade dadurch, dass so unterschiedliche Kulturen neben- und miteinander leben, entsteht der Klebstoff, der Deutschland zusammenhält.

Versuchen Sie, mit Ihrem Schreiben auch die „russische Seele“ zu erfassen?

Von dieser geheimnisvollen russischen Seele habe ich erst in Deutschland gehört. Es gab hier schon früher solche falschen Russen wie Ivan Rebroff, die große Popularität besaßen. Er sang „Gieß’ mir einen Wodka ein, aber nicht zu klein. Hey!“ auf Deutsch und hieß eigentlich Hans Rippert. Aber das hat niemanden gestört. Die Russen selbst sehen sich nicht so geheimnisvoll, sondern ähnlich wie in Deutschland, eine alternde Nation. Putin ist jetzt schon über 70. Egal wie gut seine Gene sind, ein ewiges Leben wird er nicht bekommen. Und ohne ihn wird dieses Regime keine Fortsetzung haben. Was kommt danach? Das Schlimme an den Autokratien ist, dass sie immer im Chaos enden.

Wenn Sie die Grundstimmung in diesem Land in einen Satz fassen müssten, welcher wäre das?

Alles ist kaputt, nichts funktioniert hier – von Impfungen bis Demokratie, und das Bier wird immer teurer. Die Menschen meckern gern und zu Recht auch. Aber das ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube, wir sollten uns ein bisschen entspannen. Es wird schon werden.

Interview Autor Wladimir Kaminer spricht über sein neues Buch „Das geheime Leben der Deutschen“, über Dirndl und Lederhosen, skurrile Traditionen, vermeintliche Orgien auf dem Land und falsche Russen.

Im Rausch der tausend Farben

Bühne „Blinded by Delight“, die neue Grand Show des Berliner Friedrichstadt-Palasts, steht kurz vor der Premiere. Ihre Umsetzung brauchte zwei Jahre, kostete Millionen und ließ die Macher bisweilen zittern.

Tausend Lichter, tausend Farben! Komm’ und schau’ dich um“, singt Julian David alias Traum. Der Sänger im funkelnden Outfit übertreibt nicht. Mehr als ein Dutzend Tänzerinnen in rosa Federkleidern dreht sich hinter ihm. Eine von ihnen sticht in kräftigem Gelb aus der flamingofarbenen Masse heraus. Den Rücken der riesigen Showbühne des Friedrichstadt-Palasts zieren florale Muster. Sie leuchten in allem, was das Farbspektrum bereithält.

„Blinded by Delight“, also „Geblendet vor Entzücken“, hat das Berliner Revuetheater seine neue Grand Show getauft. „Eine bewegende Reise in die Welt der Träume und des Glücks“ soll sie dem Publikum bieten, versprechen die Macher.

Für das Kostümdesign zeichnet diesmal Jeremy Scott verantwortlich. Etwa 500 Kostüme hat der US-amerikanische Stardesigner entworfen. Die Entwürfe des 50-Jährigen gleichen einer Farbexplosion, irgendwo zwischen Pariser Laufsteg und den Bühnenoutfits moderner Popstars. Mehr als vier Millionen funkelnde Kristalle zieren allein die Kostüme der berühmten Kickline-Tänzerinnen.

Es ist die bislang teuerste Produktion des Hauses. Kostenpunkt: 15 Millionen Euro. Geld, das eine gigantische Show finanziert. Rund 100 Künstler stehen auf der Bühne, darunter 15 Akrobaten.

Im Hintergrund, in Maske, Kostüm oder Licht, arbeiten weitere 80 Menschen. „Ein riesiges Uhrwerk“ nennt es der Intendant des Friedrichstadt-Palasts, Bernd Schmidt. Die ersten Previews laufen bereits. Bis zur Premiere am Mittwoch sei aber noch einiges zu tun, so Schmidt. „Hunderte Sachen stehen noch auf der Liste.“

Es ist vor allem die Liste von Regisseur und Autor Oliver Hoppmann. „Wir versuchen, die Show immer noch zu verfeinern“, sagt er kurz vor der Premiere. Effekte, Kostümdesigns, Lichtkorrekturen, in vielen Bereichen wird noch feinjustiert. „Es geht darum, den Blick und die Energie des Publikums mitzuleiten“, erklärt Hoppmann. Die Erfahrungswerte der Previews wolle man einarbeiten.

Es sind die letzten Meter eines Prozesses, der fast zwei Jahre in Anspruch genommen hat. Am Anfang stand ein Gedanke: „Was wäre, wenn wir eines Tages in einer traumhaften Welt aufwachen, einer Welt des Glücklichseins?“ Das habe ihn Bernd Schmidt gefragt, so Hoppmann. „Da sind vor meinem inneren Auge sofort Showbilder entstanden.“ Was folgte, waren Text- dokumente, ein erstes Konzept, ein Storyboard-Workshop mit einem Illustrator, unzählige Gespräche – kurz: die Theorie.

Um diese Theorie Realität werden zu lassen, brauchte es Designer, Choreografen, Komponisten, Bühnenbildner, Darstellende, die Showband, das Tanzensemble, Akrobaten. „Erst durch ihr Talent, ihr Können, ihre fantastischen Wesenszüge wird diese Show zu etwas ganz Besonderem“, unterstreicht Hoppmann. Selten gleicht eine fertige Grand Show den ersten Ideen. Traurig ist der Kreativdirektor des Friedrichstadt-Palasts darüber nicht: „Ich empfinde es viel besonderer. Es ist besser, weil es die Leistung eines Kollektivs ist.“

Eine Grand Show am Friedrichstadt-Palast vergleicht Hoppmann, der einst als Praktikant am Haus angefangen hatte, mit einer logistischen Herkulesaufgabe. Wie international diese bei „Blinded by Delight“ mitunter war, veranschaulicht er anhand der BMX-Showeinlage, für die extra ein Rampenparcours gebaut werden musste. Entworfen wurde er von einem Experten in Montreal, umgesetzt von einer französischen Firma, die in China herstellt.

Doch kurz bevor die Proben losgehen sollten, waren die Rampen noch nicht im Hamburger Hafen angekommen. „Das war wirklich ein Herzschlag-Finale“, erinnert sich der Regisseur. Ein wenig sei man damals ins Zittern gekommen. „Bringt man eine neue Akrobatik zusammen, braucht es schließlich jeden einzelnen Probentag, um etwas Spektakuläres auf die Bühne zu bekommen.“

Fahrbare Wasserfläche

Doch auch hausgemachte Aufgaben sollten sich als Herausforderung erweisen. Für seine Grand Shows spielt der Friedrichstadt-Palast immer wieder mit den Elementen. Auch für „Blinded by Delight“ wird mit Wasser auf der Bühne gearbeitet. „Wir wollten die größtmögliche Wasserfläche auf die Bühne bringen, die selbst unser Haus so noch nicht gesehen hat. Groß genug, um darin zu tanzen.“ Das Problem: Das Bühnenbild wechselt mit jeder Szene. „Die Fläche musste also fahrbar sein“, erklärt Hoppmann. Dies zu ermöglichen, ohne dass das Wasserbecken überschwappt, sei eine „Riesenherausforderung“ gewesen.

Am Ende ist es dem Team des Friedrichstadt-Palasts gelungen. Und so steht die bunte Grand Show fast sinnbildlich für die Geschichte, die sie erzählt. Denn in „Blinded by Delight“ gehe es um die Frage, ob Träume wahr werden können oder für immer Illusion bleiben. „Wir beantworten das ganz klar mit einem Happy End“, betont Regisseur und Autor Hoppmann: „Ja, Träume können Realität werden.“

Die Premiere von „Blinded by Delight“ findet am Mittwoch statt. Die Laufzeit der Show ist bis Sommer 2027 geplant. Termine und Tickets unter www.palast.berlin

Marschall von Barfus ist zurück

Königs Wusterhausen. Nach fast 100 Jahren Abwesenheit ist ein von König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) gemaltes Bild in die Sammlungen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) zurückgekehrt. Es bereichert nun die Dauerausstellung im Schloss Königs Wusterhausen und die dortige Sammlung eigenhändiger Bilder des preußischen Monarchen.

Das Bildnis des Generalfeldmarschalls Johann Albrecht Graf von Barfus (1634–1704) besticht weniger durch seine Qualität, ist jedoch ein beredtes Zeugnis königlichen Kunstschaffens. Der Monarch beschäftigte sich seit den 1730er-Jahren mit Malerei und schuf zahlreiche Gemälde. Dabei konnte der „Soldatenkönig“, der in seinen letzten Lebensjahren schwer erkrankt war und unter Schmerzen litt, entspannen. Meist kopierte er andere Gemälde, die sich in den Schlössern befanden. 80 derartige Bilder sind bekannt, im Bestand der SPSG haben sich etwa 40 erhalten, die im Schloss Königs Wusterhausen gezeigt werden.

Entstanden in Kossenblatt

Sie entstanden im Schloss Kossenblatt, das der König 1736 erworben von den Erben des kurbrandenburgischen Generalfeldmarschalls Johann Albrecht Graf von Barfus abgekauft hatte. Friedrich Wilhelm I. verbrachte dort zwischen 1736 und 1738 mehrere Wochen im Jahr. 1736 schuf er – offenbar unter Verwendung einer vor 1702 entstandenen Porträtgrafik – das Bildnis des früheren Besitzers von Kossenblatt.

Gemeinsam mit den anderen Gemälden des Königs befand es sich noch bis in die 1820er-Jahre im Schloss Kossenblatt, kam dann ins Potsdamer Stadtschloss und wurde 1948 vom Haus Hohenzollern verkauft. Seitdem befand es sich in Privatbesitz. Vor einigen Jahren konnte es auf einer Auktion für die SPSG zurückerworben werden.

Infos: www.spsg.de

Museum Ein von Friedrich Wilhelm I. gemaltes Bild bereichert die bestehende Sammlung im Schloss Königs Wusterhausen.

Ihr großes Thema waren Frauen: Grafikerin Inge Jastram im Alter von 91 Jahren gestorben

Kneese. Die Grafikerin Inge Jastram ist tot. Sie sei in der Nacht zu Freitag im Alter von 91 Jahren gestorben, teilte ihre Tochter Susanne Rast mit. Inge Jastram war die Frau des 2011 gestorbenen Bildhauers Jo Jastram. Auch ihr Sohn Jan Jastram und ihre Tochter Susanne Rast haben die künstlerische Laufbahn eingeschlagen, beide arbeiten als Bildhauer.

2019 war Inge Jastram mit dem Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern geehrt worden. Zu ihrem 90. Geburtstag im vorigen Jahr hatte die Kunsthalle Rostock eine Retrospektive auf ihr Lebenswerk gezeigt.

Die 1934 in Naumburg (Sachsen-Anhalt) geborene Inge Jastram studierte nach ihrem Gesellen-Abschluss als Schneiderin von 1952 bis 1957 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bei Arno Mohr und Werner Klemke, machte dort auch ihr Diplom als Buchillustratorin. 1958 heiratete sie Jan Jastram und ging nach Rostock, um dann 1982 nach Kneese bei Marlow zu ziehen.

Künstlerisch beschäftigte sie sich mit grafischen Arbeiten für Zeitungen, Glasfenstern, Wandgestaltungen, Klinkerwandgestaltungen in Rostock und Berlin – um 1979 zur Buchillustration zurückzukehren und 1982 die Auszeichnung „Bestes Buch des Jahres“ zu erhalten. Von 1990 an befasste sie sich mit freien Arbeiten, Radierungen, Menschenbeobachtungen und Landschaften.

„Ich habe mir alles von der Seele gekratzt, was mich bedrückte“, sagte sie einmal über ihre Arbeiten, von denen viele während und nach der Wendezeit entstanden sind. Eines ihrer großen Themen waren Frauen, darunter viele Porträts von Prostituierten. Solche Arbeiten wären in der DDR undenkbar gewesen. Zu ihren künstlerischen Vorbildern zählte sie Henri de Toulouse-Lautrec und George Grosz. Auch waren für sie die Gedichte von Klaus Mann und Wolfgang Borchert eine Inspirationsquelle.

Inge Jastram galt als expressive Grafikerin, die mit kräftiger Nadel ihren Emotionen auf der Metallplatte Ausdruck verlieh. 2013 waren ihre Arbeiten zusammen mit Werken ihres Mannes in der Rostocker Kunsthalle zu sehen. Sie stand immer im Schatten ihres Mannes. Dabei war ihr Œuvre mindestens genauso kraftvoll und filigran. „Nebenbei hat sie die Wege frei geackert, damit ich arbeiten kann“, beschrieb Jastram das Wirken seiner Frau.

Zwischen Bach, Tango und Bluegrass

Geburtstag Mit seiner „Petunia“ geht Cellist Yo-Yo Ma immer wieder auf Erkundungstour. Heute wird er 70 Jahre alt.

New York. Die ständige Begleiterin von Yo-Yo Ma heißt „Petunia“. Diesen Namen habe eine Studentin vor vielen Jahren einmal für sein mehr als 300 Jahre altes Cello vorgeschlagen, nachdem er ihr ein Stück darauf vorgespielt habe, sagte der vielfach preisgekrönte Weltklasse-Musiker, der heute 70 Jahre alt wird, jüngst in einem Interview dem US-Radiosender NPR. „Und ich habe dann gesagt, den nehme ich.“ Derzeit ist er mit „Petunia“ wieder auf Welttournee. Bis weit ins kommende Jahr hinein sind Konzerte angesetzt, darunter am 13. August 2026 mit dem West-Eastern Divan Orchestra in der Berliner Waldbühne.

Der 1955 als Sohn chinesischer Einwanderer in Paris geborene Ma begann mit vier Jahren, Cello zu lernen. Seine Mutter war Sängerin, sein Vater Violinist – und beide mahnten ihn zu extremer Disziplin beim Cello-Unterricht. Sie wanderten in die USA aus, wo Ma noch als Kind mit Leonard Bernstein im Fernsehen auftrat und später die Juilliard-Musikhochschule sowie die Elite-Universität Harvard besuchte.

„Musik ist für mich die beste Form, meine Neugierde nach Menschen zu stillen und die Welt zu erkunden“, sagte Ma einmal. Er müsse sie noch nicht einmal spielen, um sie zu hören. „In meinem Kopf ist immer Musik.“

Die Werke von Johann Sebastian Bach gehörten schon als Kind zu seinen Stärken, aber Mas Neugier scheint grenzenlos: Er spielte als Solist mit Orchester, in Kammermusikensembles und mit Musikern unterschiedlichster Traditionen. Er musizierte mit Popstars wie Sting, spielte für mehrere US-Präsidenten und hatte einen Auftritt in der US-Zeichentrickserie „Die Simpsons“. Er erkundete die Klänge Eurasiens mit seinem Seidenstraßen-Projekt und trat dafür unter anderem im Iran, in Aserbaidschan und Armenien auf. Er nahm Alben mit Tango, Samba-, Bossa-nova- und Bluegrass-Musik auf.

Für seine Musik wurde Ma, der in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts lebt, unter anderem mit zahlreichen Grammys ausgezeichnet, für sein Engagement zum Friedensbotschafter der Vereinten Nationen ernannt.

Üben muss natürlich auch ein Weltklasse-Cellist wie Ma nach wie vor. „Die eine Sache, die sich nie verändert, ist, dass man als Künstler immer dagegen ankämpft, sich lächerlich zu machen“, sagte der Musiker, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, einmal dem „GQ“-Magazin.

Was ein Hocker erzählen kann

Wusterhausen. Sie war in Wusterhausen hoch angesehen, die Famlie Ipscher. Eine Begegnung mit dem Vater, Landarzt Wilhelm Ipscher, schildert Theodor Fontane 1873 in einem Brief. Der Sohn, Georg Ipscher, war ebenfalls Arzt – und als solcher in den Jahren 1900 bis 1903 als Angehöriger der „Kaiserlichen Schutztruppen“ in Kamerun unterwegs. Was er von dort mitgebracht hat und was er erlebt haben könnte, hat das Wegemuseum in Wusterhausen nun zum Thema einer Sonderausstellung gemacht.

Im Zentrum steht ein Hocker, der als „Thron“ der Ausstellung den Namen gab. Er hat die Form, Verzierung und Größe eines Herrscherstuhles und wurde wohl in den Werkstätten der in Kamerun tätigen Basler Mission angefertigt. Ipscher zeigt ihn in Wusterhausen in seinem „Afrika-Zimmer“, wie Fotografien dokumentieren. Und schenkt seine ethnologische Sammlung 1902 dem württembergischen König, der sie an das Linden-Museum in Stuttgart weiterreicht.

In der Ausstellung sind Fotografien zu sehen, die Ipscher aus Kamerun mitbrachte – und Skizzen für Isolier- und Quarantänestationen sowie ein Sanitätsbericht aus dem Jahre 1900/01. An den berüchtigten (Straf-)Exkursionen, die die euphemistisch genannten Schutztruppen durchführten, hat er wohl nicht teilgenommen. Dass Teile seiner Sammlung auf diesen Beutezügen zusammengetragen wurden, ist jedoch nicht ausgeschlossen.

Es sei eine mühsame Recherche gewesen, heißt es aus dem Museum, zumal auch aus afrikanischer Sicht wenig Informationen zu erhalten waren. Gleichwohl sind Ipscher und sein Thron ein Beispiel für die Verbreitung von deutschem Kolonialismus bis in die Provinz.

„Ein Thron aus Kamerun – Die Abenteuer des Dr. Ipscher“, bis Frühjahr 2026, Di 13–18 Uhr, Do/Fr 10–17 Uhr, Sa 10–16 Uhr, Wegemuseum, Am Markt 3, Wusterhausen

Ausstellung Das Wegemuseum in Wusterhausen dokumentiert Kolonialismus in eigenen Beständen.

„Heute noch, morgen schon“: Nikolaikirche wirft filmischen Blick auf das Berlin um 1990

Berlin. 35 Jahre nach Ende der deutschen Teilung thematisiert eine raumgreifende Ausstellung mit teils noch nie gesehenem und in Teilen persönlichem Filmmaterial im Berliner Museum Nikolaikirche die grundlegenden Umbrüche und den persönlichen Alltag in der deutschen Hauptstadt um 1990. Der Ort ist dabei bewusst gewählt: Am 11. Januar 1991 fand in der Nikolaikirche die konstituierende Sitzung des ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhauses nach dem Fall der Berliner Mauer statt.

Die Ausstellung „Heute noch, morgen schon“ versammelt bis 6. April 2026 rund sechs Stunden Filmmaterial, gezeigt auf großformatigen Bildschirmen, die an einer vier Meter hohen Gerüstlandschaft befestigt sind. Zu sehen sind dokumentarische und künstlerische Kurzfilme sowie Film- und Fernsehausschnitte. Sie geben einen Einblick in die tiefgreifenden Veränderungen jener turbulenten Zeit. Vor allem Menschen in Ost-Berlin erlebten den Sturm der Ereignisse als widersprüchlich: einerseits Selbstermächtigung, Freiheitsgewinn und die Versprechen der Marktwirtschaft, andererseits Verunsicherung, Arbeitsplatzverlust und Gewalt gegen Menschen, die als anders wahrgenommen wurden. Was etwa bedeutete der Ausbruch von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nach dem Mauerfall für Menschen mit Migrationsgeschichte in West- und Ost-Berlin?

Der Blick auf das Berlin um 1990 bis in die jüngere Vergangenheit offenbart sich dabei aus verschiedenen Perspektiven. Die Praxis der Filmemacher reicht von der teilnehmenden Beobachtung über das offene Gespräch bis hin zur künstlerischen Aneignung.

Infos: www.stadtmuseum.de

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