Von der Hochschule mit Coaching begleitet
Unternehmen Der Fachkräftemangel zwingt Handwerksbetriebe wie die Bäckerei Wiese in Eberswalde zu neuen Lösungen. Genossenschaften und Mitarbeiterbeteiligungen ersetzen familiäre Nachfolge.
Die meisten Menschen wollen etwas für die Nachwelt hinterlassen. Erst recht geht es Unternehmern so, die ihr Lebenswerk – die von ihnen aufgebaute Firma – nicht einfach verkaufen wollen. Doch was tun, wenn der eigene Nachwuchs noch nicht so weit ist oder kein Interesse hat?
Der Eberswalder Bäckermeister Björn Wiese hat schon eine ganze Weile Gedanken über die Nachfolge mit sich herumgetragen. „Natürlich hat man das Thema, wie geht es langfristig weiter, im Kopf“, sagt Wiese. Gemeinsam mit seiner Schwester Birte Wiese hatte er das Bäckereiunternehmen 1998 gegründet, nachdem sie aus dem elterlichen Betrieb ausgestiegen waren.
Sie starteten mit sieben Beschäftigten und einem Eigenkapital von 40.000 Mark. Anfangs buken sie ihre Brötchen noch in dem Laden in der Friedrich-Ebert-Straße, der aber um ein Drittel kleiner war als heute. Seitdem ist es immer weitergegangen: Ein Jahr später verlegten sie die Backstube ins Nordend, seit 2005 werden die meisten Brote und Brötchen in der ehemaligen Kantine der Schlachtung des Wurstwerks in Britz gebacken.
Auch mit dem Verkaufswagen
2009 dann die Eröffnung des Caféhauses Gustav am Markt in Eberswalde, 2015/16 die Zertifizierung als Bio-Backbetrieb. Vor zwei Jahren dann die Anschaffung eines Verkaufswagens, mit dem das Unternehmen ein- bis zweimal in der Woche unter anderem in Schwedt, Flieth-Stegelitz, Bad Freienwalde oder Groß Schönebeck steht.
Oftmals an Orten, wo Bäcker geschlossen haben, weil sie keine Nachfolge gefunden haben. „Wir gehen in eine Lücke“, sagt Wiese. Ein zweiter Verkaufswagen soll angeschafft werden. Das Unternehmen beschäftigt heute 75 Menschen, inklusive Auszubildenden und Aushilfen. Der Umsatz ist stetig gestiegen und wird 2025 wahrscheinlich 3,6 Millionen Euro erreichen.
Björn und Birte Wiese sind über der Bäckerstube aufgewachsen, mussten oft mithelfen, machten dann ebenfalls ihren Meister im Bäcker- beziehungsweise Konditorhandwerk. „Wir haben es im Blut“, sagt Wiese. Der Großvater hatte die Bäckerei schon in den 70er-Jahren an seinen Schwiegersohn – Wieses Vater – abgegeben. Da war der Großvater 48, sagt Björn Wiese anerkennend. Wiese und seine Schwester sind mit 53 und 50 Jahren noch gut in der Zeit, um sich über ihre eigene Nachfolge Gedanken zu machen. „Man kann nicht früh genug anfangen“, sagt Björn Wiese aber.
Bei den eigenen Kindern sieht es allerdings bisher nicht so aus, als ob sie in die Richtung gehen. Björn Wieses Tochter studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, der ältere Neffe IT, der jüngere Neffe geht noch zur Schule. Es sei aber auch wichtig, dass der Beruf Freude mache, sagt Wiese. „Wir wollen keinen Druck aufbauen.“
Für ein Nachdenken über die Unternehmensnachfolge fehlte im Tagesgeschäft allerdings ohnehin oft die Zeit. Da kam es den Wieses zugute, dass sie an dem Coaching-Projekt „Inno4Ufo“ der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) teilnehmen konnten. Bei dem dreijährigen Programm ging es darum, innovative Instrumente für die Unternehmensfortführung in ländlichen Räumen zu entwickeln und anzuwenden. „Es ist gut, wenn jemand von außen moderiert“, sagt Wiese.
In elf Workshops und fünf informellen Gesprächen tauschten sich die Wieses mit den HNEE-Projektmitarbeiterinnen aus, zwei Experten wurden herangezogen. Die Werte der Bäckerei – möglichst handwerklich zu produzieren und sozial wie regional zu wirken – sollten beibehalten werden. Jetzt wird ab Januar 2026 die langjährige Mitarbeiterin und Personalchefin Heike Fiedler als Gesellschafterin in das Unternehmen einsteigen, der Bäckereibetrieb wird von einer GbR in eine GmbH umgewandelt. Fiedler ist mit Anfang 40 rund zehn Jahre jünger als die Wiese-Geschwister.
Fiedler ließ schon lange ein unternehmerisches Engagement erkennen, wie Björn Wiese berichtet. „Sie ist so involviert“, sagt Wiese anerkennend. Er könne sie auch um zwei Uhr in der Nacht anrufen – wenn sie gebraucht werde, sei sie da.
Der Eberswalder KfZ-Werkstattbetreiber Thomas Oesterling geht noch einen Schritt weiter und wird seinen 18-Mann-Betrieb „1a Auto Service Barnim“ voraussichtlich Anfang 2026 in eine Genossenschaft umwandeln. Ein wichtiger Grund sei der Fachkräftemangel, sagt Oesterling.
Er ist fest überzeugt, dass sich die Beschäftigten eher engagieren, wenn sie beteiligt sind. Man könne zudem die Verantwortung im Unternehmen besser auf mehreren Schultern verteilen. Oesterlings jüngster Sohn, der derzeit eine Lehre bei Mercedes macht, ist noch zu jung, um jetzt schon in das Unternehmen einzusteigen.
Voraussichtlich drei Mitarbeiter werden im ersten Schritt im Vorstand der Genossenschaft mitmachen. Vom Schlosser, Meister bis zum Betriebsleiter, im Alter zwischen 25 und 50 Jahren. Die Umwandlung eines Handwerksunternehmens in eine Genossenschaft ist allerdings nicht ganz trivial. „Es gibt so viele Gesetze“, stöhnt Oesterling, der kurz nach der Wende aus Hessen nach Brandenburg gekommen war und 1992 sein Unternehmen gegründet hatte.
Auch Oesterling wurde von der Hochschule begleitet, unter anderem mit Workshops für die Mitarbeiter. Projektleiterin Maria Wichmann ist begeistert: „Es ist toll, dass es mutige Unternehmer in der Region gibt, die kooperative genossenschaftliche Ansätze als Nachfolgelösung angehen, bei denen die Mitarbeitenden eine zentrale Rolle spielen.“
Für ein Nachdenken über die Nachfolge fehlt im Tages- geschäft oft die Zeit.