Der große Hype um Molke

Lebensmittel Mittlerweile ist die Flüssigkeit wichtiger als der Käse. Was das mit der Nachfrage nach Eiweiß zu tun hat – und welche Rolle sie bei der Herstellung von Medikamenten spielt.

Vor 40 Jahren war Molke für die Hersteller von Quark und Käse vor allem ein lästiger Kostenfaktor. Wie entsorgt man die wässrige Flüssigkeit so günstig wie möglich? „Molke war ein Abfallprodukt, bis Mitte der 1980er-Jahre“, sagt Torsten Sach, Referent beim Milchindustrieverband. Heute gilt: „Die Molkeverwertung ist für alle deutschen Käsehersteller essenziell.“ Früher sei es darum gegangen, guten Käse zu produzieren. Molke sei das Nebenprodukt gewesen, das in der Tierfütterung verwendet wurde, erläutert Sach. „Heute wird Käse so produziert, dass Molke in einer Qualität herauskommt, die eine optimale Weiterverarbeitung zulässt.“

Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Der Hype um die Flüssigkeit, die reich an Laktose, Vitaminen und Mineralien ist, hat viel mit gewandelten Essgewohnheiten zu tun. Molke kombiniert sehr viel Eiweiß mit wenig Kalorien. Für viele fitnessorientierte Verbraucher heutzutage die optimale Mischung. Der Proteinhype führt unter anderem dazu, dass Unternehmen auf bestehende Produkte „High Protein“ schreiben – und für denselben Inhalt auf einmal 40 Prozent mehr verlangen.

Möglich wurde der Molke-Boom erst durch technischen Fortschritt. In den 1980er-Jahren habe die Filtertechnik einen riesigen Sprung gemacht, erklärt Sach, zehn Jahre später noch einmal. „Der Molke konnten einzelne übrig gebliebene Eiweiße entzogen werden.“

Die damit verbundene tiefgreifende Veränderung der Milch­industrie ist dementsprechend auch kein deutsches Phänomen. In den USA hat sich der Preis für ein Pfund Molke von drei Dollar vor fünf Jahren auf zehn Dollar mehr als verdreifacht. Die Schätzungen des US-Marktvolumens schwanken zwischen fünf und zehn Milliarden Dollar. Einig sind sich die Analysten darin, dass sie in den kommenden zehn Jahren eine Verdoppelung der Summe erwarten.

Genaue Zahlen sind für Deutschland schwer erhältlich, weil es sich bei der Verarbeitung von Molke hauptsächlich um ein Geschäft zwischen Unternehmen handelt, die kein Interesse daran haben, ihre Preise zu veröffentlichen.

Boom in den USA

Optimistische Schätzungen wie die des Marktforschungsunternehmens Grand View Research gehen davon aus, dass in Deutschland 2024 allein mit Molke ein Umsatz in Höhe von 550 Millionen US-Dollar gemacht wurde. 2030 sollen es schon über 900 Millionen werden.

In den USA boomt Molke auch wegen den Abnehmspritzen, die dort schon lange nicht mehr nur von Diabetikern, Hollywoodstars und Tech-Milliardären genutzt werden, sondern ein Produkt für die breite Masse sind. Ärzte in den USA empfehlen bei der Nutzung von Ozempic, Wegovy & Co., sich zusätzliche Proteinquellen zu suchen – hier kommt dann wieder Molke ins Spiel. Diesen Trend spürt die deutsche Milchindustrie nicht, im Gegenteil.

„Das ist eher ein amerikanisches Phänomen“, sagt Sach. In Deutschland hätten die Abnehmspritzen nur mittelbar Wirkung, beispielsweise auf die Süßwarenindustrie – und das negativ. Bedeutet: Dünnere Amerikaner sind für die deutschen Käsehersteller schlecht fürs Geschäft.

Proteine sind deswegen so beliebt, weil sie als gesund gelten. Aber während man den zusätzlichen Nutzen von besonders eiweißhaltigen Lebensmitteln für die Teile der Bevölkerung, die nicht Muskeln aufbauen wollen oder müssen, hinterfragen kann, ist der gesundheitliche Mehrwert von Molke für den Körper unstrittig. Sie enthält essenzielle Aminosäuren, die den Muskelaufbau und die Regeneration unterstützen können. Einige Studien deuten an, dass Molkenprotein helfen kann, den Blutdruck und den Cholesterinspiegel zu senken.

Den vielleicht größten Nutzen könnte Molke, mit der Aminosäure Leucin angereichert, für ältere Menschen haben. Sie hilft, Muskelmasse zu steigern – ohne Krafttraining. Das Potenzial sei vor allem bei der Prävention von Muskel­abbau bei Bettlägerigkeit groß, betont Reto W. Kressig, emeritierter Professor für Altersmedizin an der Universität Basel. „Die klinischen Resultate sind beeindruckend“, sagt Kressig dieser Zeitung.

Das sind potenziell auch gute Nachrichten für die Käsereien. Denen geht es derzeit relativ gut, allerdings beobachtet die Branche sinkende Käsepreise. Und der Preis für Milch schwankt sowieso. Molke helfe dabei, den Milchauszahlungspreis um mehrere Cent pro Liter zu stabilisieren, sagt Sach.

Wobei sich die Milchindustrie nicht nur Stabilität in der Kalkulation, sondern kräftiges Wachstum von dem früheren Abfallprodukt verspricht. „Molkekonzentrat wird für Arzneimittelgrundstoffe verwendet. Mittlerweile können wir alles aus der Molke herausholen. Babynahrung, Energydrinks, Eiweißlebensmittel für die Pumper in den Fitnessstudios – das ist alles mit Molkenprotein“, sagt Sach. „Und da der Fitnessbereich weiter wachsen wird, wird auch der Molke-Markt weiter wachsen.“

Der Aufarbeitungsweltmeister

Erinnerung Auch 80 Jahre nach Kriegsende ist Deutschland rund um den Globus für seine dunkle Vergangenheit bekannt. Sein Umgang damit gilt im Ausland jedoch als vorbildlich, wie Beispiele aus Südostasien zeigen. Die Frage ist nur: wie lange noch?

Auf dem Gelände einer ehemaligen Schule im Zentrum von Phnom Penh schleppt sich Manuel Erbenich durch die gleißende Mittagshitze. Dieser einstige Schulhof in der kambodschanischen Hauptstadt, der später ein Folterhof wurde, ist gefüllt mit Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt. Die meisten halten sich einen Audioguide ans Ohr. Um niemanden zu stören, flüstert Manuel Erbenich: „Die Audioguides für dieses Museum hier wurden im Austausch mit uns entwickelt.“ Es herrscht stille Konzentration.

Erbenich arbeitet für den Zivilen Friedensdienst der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), wo er ein Projekt zur Vergangenheitsbewältigung leitet. Dieses Museum namens Tuol Sleng, das jeder Touriguide als eines der wichtigsten in dem südostasiatischen Land listet, würde es ohne die Arbeit von Erbenich und seinen Vorgängerinnen wie Kollegen so nicht geben. Im Audioguide erzählt ein ehemaliger Insasse, wie hier einst gefoltert wurde. Beklemmend nah dran ist man an den Gräueln.

Malus ist auch ein Bonus

In Kambodschas Geschichte gibt es ein dunkles Kapitel: Am Ende eines Bürgerkriegs setzten sich 1975 die Roten Khmer an die Macht, eine sich kommunistisch nennende Terrorgruppe, die eine klassenlose Gesellschaft erzwingen wollte: Sie verbrannte Bücher, schickte Stadtbewohner in die Felder zum Reisanbau. Widersacher wurden in Tuol Sleng, das zuvor eine Schule gewesen war, gefoltert, oder auf einem der „Killing Fields“ getötet. Binnen dreieinhalb Jahren starben so um die zwei Millionen Menschen.

Als Ende der 1990er-Jahre Frieden einkehrte, kam die GIZ, die im Auftrag des deutschen Staates Entwicklungshilfe durchführt, ins Land. „In Kambodscha ist man am deutschen Umgang mit Geschichte sehr interessiert“, berichtet Manuel Erbenich. Hier sei bekannt, dass dieses ferne europäische Land mit totalitären Regimen so seine Expertise hat. „In Tuol Sleng bauen wir ein Archiv auf, als Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dem, was hier ab 1975 geschah.“ Mit Schulen wurde auch der Geschichtsunterricht erarbeitet.

Tatsächlich hört man in Kambodscha immer wieder, dass Deutschland als Vorbild gilt für den Umgang mit der eigenen Geschichte. Zwar verbindet man die Nation im Zentrum Europas bis heute auch mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs, der brutalsten Ausprägung des Faschismus inklusive Konzentrationslagern und Holocaust. Doch kurioserweise scheint aus diesem historischen Malus eine Art Bonus geworden zu sein. Und dies nicht nur in Kambodscha.

Im „Nation Brands Index“, einem seit 2005 jährlich unter rund 60.000 Personen durchgeführten Nationenvergleich, der neben diversen Themen auch nach der wahrgenommenen Ehrlichkeit einer Nation gegenüber der eigenen Vergangenheit fragt, landet Deutschland von 60 Ländern auf Platz zwei – die sechs Jahre zuvor war es sogar je Rang eins gewesen.

Mehr noch: Während die Deutschen nach 1945 wegen der Kriegsvergangenheit noch lange Zeit darum kämpfen mussten, in der Welt wieder Ansehen zu erlangen, ist es heute ebendiese Kriegsvergangenheit, die Deutschland eine neue Art von gutem Ruf bereitet. Das Land „verdient viel Lob“, findet der britische Historiker Ian Kershaw wegen der Aufarbeitung. Der US-Schriftsteller Thomas Berger nennt Deutschland gar „globalen Goldstandard für Schuld“. Und jetzt? Macht Deutschland quasi damit Politik. Weltweit.

In Berlin-Mitte nickt Anna Kaminsky, wenn sie an Kambodscha denkt. „Deutschland ist in Sachen Aufarbeitung seiner Geschichte eine Ausnahme“, sagt die Historikerin. „Hier gab es den gesellschaftlichen Konsens, dass wir uns ganz gründlich mit der Geschichte auseinandersetzen müssen.“ Anna Kaminsky ist Direktorin der Stiftung Aufarbeitung, einer in den 1990er-Jahren durch den Bundestag begründeten Institution, die es seither zur Aufgabe hat, das kollektive Erinnern ständig zu befruchten.

So ist Kaminskys Institution ein internationaler Player in Sachen Erinnerungspolitik, von denen es weltweit nicht viele gibt – in Deutschland aber gleich mehrere: Die Stiftung Aufarbeitung bezieht sich auf die SED-Diktatur der DDR, hinzu kommt die vom Land Berlin und dem Bund geführte Stiftung Topographie des Terrors, die NS-Verbrechen dokumentiert. Hinzu kommt die in der Entwicklungszusammenarbeit aktive GIZ. Die Liste ließe sich auf Länder- und Kommunenebene fortführen.

Schon die Vielzahl deutscher Institutionen, die Erinnerungspolitik machen, zeugt von der von Kaminsky betonten Einzigartigkeit. Denn dahinter steckt eine Vielzahl von Diktaturerfahrungen. „Es ist ja nun mal so, dass wir in Deutschland im 20. Jahrhundert zwei Diktaturen hatten“, sagt sie, steht vom Konferenztisch ihres bis unter die Decke mit Büchern vollgestellten Büros auf und bittet ihre Sekretärin im Vorzimmer um die jüngsten Publikationen ihrer Stiftung. „Nach 1945 verlief die Aufarbeitung erstmal sehr zögerlich.“

Deutschlands Staat, Unternehmen und Gesellschaft übten sich lange in Schweigen. Die Nürnberger Prozesse, die Auschwitz-Prozesse, die 68er sorgten für eine schrittweise Konfrontation mit den Naziverbrechen. Mit dem Mauerfall, dem Ende der DDR und damit der Wiedervereinigung habe endlich auch für Fragen der Vergangenheitsbewältigung ein frischer Wind geweht. „Plötzlich herrschte Einigkeit: Die gleichen Fehler wie nach 1945 dürfen wir nicht wieder machen“, sagt Anna Kaminsky.

Die Sekretärin bringt Bücher und Broschüren in den Raum. Eins handelt von der Berliner Mauer, deren Teile in Länder verschenkt wurden, wo mal Diktaturen herrschten. Ein Flyer erklärt den Karl-Wilhelm-Fricke-Preis, der „Ausein­andersetzung mit den kommunistischen Diktaturen“ fördert. Dann wäre da das Austauschprogramm „Memory Work“, das „grenzüberschreitende Kooperation bei der Aufarbeitung von Diktaturen und staatlichen Gewalterfahrungen“ unterstützt. Und einiges mehr.

Die Botschaft, die durch diese Institutionen und ihre Aktivitäten spricht: Deutschland kennt sich mit Diktatur und Gewaltverbrechen aus, hat gelernt und kann sein Wissen heute weitergeben. Und diese Message kommt an. Zum Beispiel in Taiwan, der demokratisch regierten Insel vor der Küste Festlandchinas, die bis in die 1980er-Jahre eine Militärdiktatur war, ehe die Zivilgesellschaft die Demokratie erzwang. Heute beraten deutsche Institutionen bei der Öffnung von Archiven des alten Staatsapparats.

Ähnlich sieht es in Südkorea aus, wo ebenso bis in die 1980er-Jahre das Militär regierte. „Heute hat auch jedes Ministerium in Südkorea eine Stelle zur Vorbereitung der Wiedervereinigung mit dem Norden und für Aufarbeitung“, so Anna Kaminsky. Die Stiftung hält hierbei Kontakt. Jene Stellen in Südkorea analysieren den Norden, stellen Pläne für das Szenario einer Wiedervereinigung auf. „Für ein kollektives Heilen ist so etwas von unschätzbarer Bedeutung“, so Anna Kaminsky.

Aufarbeitung als Softpower

Ist Aufarbeitung eine deutsche Soft­power? „Kann man wahrscheinlich so sagen“, findet Anna Kaminsky. Wobei sie betont, Erinnerungspolitik gerate nie an ihr Ende. Wie auf den Philippinen, wo bis 1986 eine Militärdiktatur herrschte, was heute in einem Museum dokumentiert werden soll. Doch die Planer werden seit Jahren immer wieder von der Regierung vertröstet. „Bei vielen Menschen entsteht schon der Eindruck, Eröffnung und Aufarbeitung würden vermieden“, sagt Chuck Crisanto, der das Museum konzipiert hat.

Crisanto blickt insofern mit Neid nach Deutschland, wo er im Austausch Aufarbeitung als eine ernste Angelegenheit beobachtet hat. Ein Eindruck, der sich international etabliert hat. Wobei dieses Bild Risse hat. Da sind nicht nur prominente deutsche Institutionen und Individuen, die Aufforderungen, sich ihrer eigenen Arisierungs- und NS-Geschichte zu stellen, immer wieder ausgewichen sind. So etwa die Hertie-Stiftung, der Hamburger Logistikmilliardär Klaus- Michael Kühne und mehrere weitere.

Auch die heutige deutsche Politik wirft Fragen auf: Einerseits wäre da der Aufstieg der AfD, die Faschisten befördert und in Umfragen zuletzt stärkste Kraft wurde. Andererseits erntet Deutschlands Regierung viel Kritik für ihre Unterstützung der Regierung Israels, die auf den Terroranschlag der Hamas vom Oktober 2023 die Zivilbevölkerung vertreibt, beschießt, eine humanitäre Krise hinnimmt.

Die Lehre aus dem Holocaust müssten universelle Werte sein, die für alle gelten, findet etwa Enzo Traverso, Historiker und Professor an der US-amerikanischen Cornell University. Er fällt ein hartes Urteil: „Deutschlands Vergangenheitsbewältigung ist kein Vorbild mehr.“

Kommentar

Verunglückte Debatte

Nein, ein Abmarsch deutscher Friedenssoldaten Richtung Ukraine steht nicht bevor. Aber kategorisches Ausschließen von egal was ist auch keine Lösung.

Erinnert sich noch jemand? Es ist eine gefühlte Ewigkeit und zugleich gerade mal sieben Wochen her, dass der Frieden in Europa für ein paar aufregende Tage lang eine Chance zu haben schien: Als nämlich US-Präsident Donald Trump und der russische Staatschef Wladimir Putin sich auf dem roten Teppich in Alaska trafen. Doch weder die größten Befürchtungen – vor einem Ausverkauf der ukrainischen Interessen –, noch die größten Hoffnungen – auf eine dauerhafte Waffenruhe – wurden erfüllt. Inzwischen ist es beinahe, als habe das ganze Spektakel nie stattgefunden.

Das ist dramatisch für die Ukraine. Und es ist gefährlich für die Ukraine-Politik in Europa und in Deutschland. Denn die ohnehin nur mühsam in Gang gekommene Debatte über die Frage, wie sich der Kontinent eigentlich auf den Tag X eines Waffenstillstands oder gar eines Friedensschlusses vorbereitet, erlahmt schon wieder.

Dabei hatte zumindest ein Aspekt des Alaska- Gipfels deutsche Spitzendiplomaten förmlich elektrisiert: Erstmals nämlich war durch Trump selbst das Thema Sicherheitsgarantien für die Ukraine vorgebracht worden. Was in Berlin begeistert als mindestens indirektes Bekenntnis zum weiteren US-Engagement in der Sache gewertet worden war.

Was dann folgte, ist allerdings ein Musterbeispiel dafür, wie man eine solche Debatte gerade nicht führen sollte. Denn umgehend wurde entweder ein quasi bevorstehender Abmarsch von Bundeswehrsoldaten Richtung Ukraine beschrieben oder kategorisch eine wie auch immer geartete deutsche Beteiligung an egal was ausgeschlossen. Womit insgesamt zweierlei erreicht wurde: maximale Beunruhigung der Bevölkerung und höchste Verständnislosigkeit der Verbündeten.Wichtig ist, „Sicherheit“ nicht sofort und einzig mit Bodentruppen gleichzusetzen. Richtig ist zwar, dass es vermutlich irgendwann auch militärische Kräfte wird geben müssen, die einen robusten Puffer zwischen russischen und ukrainischen Gebieten bilden – und die so Gewalt hoffentlich verhindern. Dass Russland dabei keine westlichen und erst recht keine Nato-Soldaten akzeptieren will, ist bekannt. Aber sich die russische Position von vorn­herein zu eigen zu machen verbietet sich in diesem genauso wie in allen anderen Fällen.

Was sich für ein Land, das wiederholt seinen europäischen Führungsanspruch deklariert hat, erst recht verbietet, ist allerdings, sich von vornherein aus dem Auftrag abzumelden. Geradezu peinlich ist die Begründung, die Bundeswehr habe dafür nicht die Kapazitäten. Wer einerseits tönt, ein aggressives Russland mithilfe diverser Sondervermögen und jeder Menge Entschlossenheit abschrecken zu wollen, kann nicht gleich bei der ersten Anfrage abwinken: Sorry, leider grad nicht drin.

Die Führungsaufgabe nach innen lautet derweil: die Menschen vorsichtig und vernünftig darauf vorzubereiten, was Verantwortung für und Solidarität mit der Ukraine auch künftig heißen kann: milliardenschwere Hilfen, fortdauernde Waffenlieferungen, politisches Engagement. Und ja, vielleicht eines Tages auch die Entsendung deutscher Friedenssoldaten.

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Kommentar

Was kann das bringen?

Die deutsche Autoindustrie hat schwere Probleme. Der Wandel hin zur Elektromobilität kostet Jobs, gleichzeitig zeigen sich viele Neuwagenkäufer im Hinblick auf E-Autos noch immer skeptisch. Was kann und was sollte die Bundesregierung tun?

Nun wird sie tatsächlich verlängert, die Kfz-Steuerbefreiung für Elektroautos. Ein kleines Geschenk an die Autoindustrie kurz vor dem nächsten Autogipfel. Mal davon abgesehen, dass noch kein Autogipfel die so wichtige Branche tatsächlich nach vorn gebracht hat: Was kann das bringen? Gewaltig sind die Kfz-Steuern ja gemeinhin gar nicht. Wenn man bedenkt, dass die Autofahrer im Schnitt rund 140 Euro im Jahr zahlen: Wird die zehnjährige Steuerbefreiung für E-Autos da ein überragendes Kaufargument? Der mehrere Tausend Euro schwere Umweltbonus, den es in unterschiedlicher Ausprägung bis 2023 für den Kauf eines E-Autos gab, war da sicher eher ein Fakt, den man in die Kaufentscheidung einbezog.

Die Idee hinter dem Kfz-Steuer-System ist: Wer viel ausstößt, zahlt viel. Da ist es logisch zu sagen: Wer nichts ausstößt, zahlt gar nichts. Wobei dies natürlich außen vor lässt, dass umweltschädlich oder umweltverträglich ja auch daran hängt, wie ein Auto produziert wurde, also etwa welche Materialien, welcher Strom verwendet wurden.

Wichtiger ist: Es braucht ein Angebot, das die Käufer überzeugt. Und das weitet sich gerade deutlich aus. Und es braucht eine gute Ladeinfrastruktur. Hier ist spürbar etwas passiert, was nicht heißt, dass es nicht noch besser werden muss, gerade da, wo viele Menschen an einem Fleck wohnen. Und dann geht es um den Strompreis. Der ist nicht nur, im Gegensatz zu den großen Anzeigen für Benzin an den Tankstellen, ziemlich intransparent. Er ist generell zu hoch in Deutschland, aber speziell auch an Schnellladesäulen. Hieran etwas zu verändern, wäre eine lohnende Aufgabe für die Bundesregierung.

Wege hin zu besserem Schutz vor Drohnen

Sicherheit Flughäfen, die den Betrieb einstellen, fliegende Objekte über Kasernen oder über Massenveranstaltungen: Eine wirkungsvolle Drohnenabwehr wird immer wichtiger.

Berlin/Moskau. Drohnen werden in Kriegen und in der hybriden Kriegsführung eingesetzt. Drohnenflüge sind darüber hinaus aber für viele auch ein Hobby. Wie soll das jeweils erkannt und gegebenenfalls bekämpft werden?

Der Kanzler „vermutet“ Russland hinter einem Großteil der jüngsten Drohnenzwischenfälle. Zu Recht? Friedrich Merz (CDU) ist jedenfalls nicht der Einzige mit diesem Verdacht. Auch Verteidigungs­minister Boris Pistorius (SPD) geht davon aus, „dass ein ganz großer Teil der Drohnen von Putin oder seinen Handlangern kommt“. Zur Begründung verwies Regierungssprecher Stefan Kornelius am Montag auf geheime „Sicherheitserkenntnisse“ sowie die „aktuelle Lage“: Zuletzt hätten sich solche Zwischenfälle gehäuft und beispielsweise im Fall Polen durch abgestürzte und abgeschossene Drohnen auch klar Russland zugeordnet werden können.

Tritt jetzt der neue Nationale Sicherheitsrat (NSR) in Aktion? Eigentlich ist das Thema Drohnen wegen der ressortübergreifenden Zuständigkeiten wie geschaffen für den NSR: In der Runde sind nämlich nicht nur die sicherheitsrelevanten Ministerien, sondern auch die Bundesländer vertreten. Doch das erst vor wenigen Wochen ins Leben gerufene Gremium ist noch nicht so weit. Zunächst soll offenbar die Besetzung der 13 eigens dafür geschaffenen Stellen im Kanzleramt abgewartet werden.

Warum soll es ein neues Luftfahrtsicherheitsgesetz geben? Weil nach bisheriger Rechtslage Drohnen nur bedingt effektiv bekämpft werden dürfen. Nach dem geltenden Gesetz darf man „im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben“. Mehr nicht. Schon die Ampel-Regierung wollte das Gesetz ändern, nun hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angekündigt, er werde demnächst ein neues Gesetz vorlegen, das unter anderem der Bundeswehr mehr Möglichkeiten im Innern eröffnen soll. Dies ist bei SPD, Grünen und Linken höchst umstritten. Auch Abschüsse sehen viele skeptisch.

Warum ist die Herkunft von Drohnen so schwer zu erkennen? Die EU-Drohnenverordnung schreibt auch für private Drohnen eine Fernidentifikation mittels Remote ID vor. Feindliche Drohnen stellen allerdings in der Regel Signale ab. Laut der Deutschen Flug­sicherung wurden „Drohnendetektionssysteme entwickelt, die Schutz vor unkooperativen Drohnen versprechen“. Das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt arbeitet ebenfalls an Technologien, „die unerwünschte Drohnen am Weiterflug hindern“. Motto: „Rammen, verwirren oder einfangen“. Ein Problem bei den privaten Drohnen ist der Datenschutz. Nur ausgewählte Behörden dürfen sensible Daten auswerten.

„Veggie-Schnitzel“ droht Aus

EU Konservative wollen nicht, dass pflanzliche Alternativen in Anlehnung an Namen von Fleischvarianten vermarktet werden.

Brüssel. Dürfen Begriffe wie Schnitzel, Burger oder Wurst nur noch verwendet werden, wenn darin auch wirklich Fleisch von Tieren enthalten ist? Darüber stimmt das EU-Parlament am Mittwoch ab. Findet sich eine Mehrheit für den Vorstoß der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), könnten sich vegetarische oder vegane Ersatzprodukte, die in Anlehnung an die etablierten Begriffe als Veggie-Schnitzel oder Veggie-Burger vermarktet werden, umbenennen müssen.

Doch es gibt Widerstand. Die Chefin der Grünen-Agrarpolitiker im Bundestag kritisiert das Vorgehen scharf. „Ein Verbot alltäglicher Begriffe würde nicht nur die Transparenz verringern, sondern aktiv eine aufstrebende Branche sabotieren, die enormes Potenzial für Innovation, Nachhaltigkeit und Wachstum hat“, sagt Zoe Mayer dieser Zeitung. Sie fordert von Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) ein klares Bekenntnis gegen ein Bezeichnungsverbot. Er hat – wie Kanzler Friedrich Merz – den EVP-Plan öffentlich unterstützt.

Einfluss auf die EU-Parlamentarier könnte ein offener Brief von über 20 Unternehmen haben, darunter Lidl und Aldi Süd und der Fastfood-Riese Burger King. Sie sprechen von einem nachhaltigen Schaden für die Lebensmittelbranche, sollte der Vorschlag angenommen werden, denn vertraute Begriffe würden den Verbrauchern Orientierung geben. „Sie helfen einzuschätzen, was in Bezug auf Geschmack und Textur zu erwarten ist und wie die Produkte zubereitet werden.“

Der größte Markt in Europa

Die Unternehmen hierzulande wären von einem Verbot besonders stark betroffen, Deutschland sei der mit Abstand größte Markt für pflanzliche Alternativprodukte in Europa, heißt es in dem Brief. „Das wirtschaftliche Potenzial dieses Sektors wird langfristig auf bis zu 65 Milliarden Euro und bis zu 250.000 Arbeitsplätze geschätzt.“Was verspricht sich die EVP von dem Bezeichnungsverbot? Der EU-Abgeordnete Norbert Lins (CDU), Vize-Vorsitzender des Agrarausschusses, erhofft sich „mehr Transparenz und Verlässlichkeit“. Verbraucherumfragen zeigten, dass Begriffe wie „Schnitzel“ oder „Wurst“ traditionell mit Fleisch verbunden würden, argumentiert Lins. „Eine klare Abgrenzung soll Missverständnisse vermeiden und einen Rahmen schaffen, in dem pflanzliche und tierische Produkte eindeutig unterscheidbar sind – zum Schutz sowohl der Konsumenten als auch der Hersteller.“

Vor der Abstimmung am Mittwoch sind die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament unklar, auch die Abgeordneten von CDU und CSU sind sich nicht einig. Sollte der EVP-Vorschlag angenommen werden, müssten noch die Mitgliedsstaaten zustimmen. Falls es dort zu einer Einigung kommt, könnte das Veggie-Schnitzel dann zum Beispiel „pflanzliches Proteinprodukt auf Erbsenbasis“ und der Veggie-Burger „Gemüsebratling“ heißen.

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