Angehörige streiten um Gedenken an Toten

  • Immer häufiger muss sich das Amtsgericht Fürstenwalde auch mit Beleidigungen in sozialen Netzwerken beschäftigen. Foto: Marcel Gäding

Prozess Ein junger Mann verstirbt plötzlich. Auf Facebook kommt es zu Beleidigungen unter den Hinterbliebenen. Die Mutter des Verstorbenen reicht Privatklage gegen seine Ex-Freundin ein.

Diese Liebe muss stark gewesen sein. Sehr stark sogar. Diesen Eindruck jedenfalls kann man gewinnen, wenn man auf die Gedenkseite von Kevin S.* bei Facebook gelangt. Der Mann starb 2024 im Alter von 34 Jahren plötzlich und unerwartet. Seine Ex-Freundin Jana P.* hat das digitale Kondolenzbuch veröffentlicht und nach Kevins Tod im Sommer 2024 alle Freunde und Bekannte gebeten, dort Erinnerungen in Form von Fotos oder Texten zu teilen.

Doch bei den Postings und Kommentaren waren nicht nur freundliche Worte zu lesen, wie sich an einem herbstlichen Vormittag im Amtsgericht Fürstenwalde herausstellt. Dort nimmt Jana P. Platz auf der Anklagebank. Ihr gegenüber sitzt Kevins Mutter Elke S.*. Sie hat die junge Frau verklagt, wegen öffentlicher Beleidigung und Verleumdung. Beide Frauen eint an diesem Tag offenbar nur eins: Die Trauer um Kevin, der seiner damaligen Freundin einen Sohn und seiner Mutter ein Enkelkind schenkte. Es wird geweint, es fließen viele Tränen im Saal. Zwischendurch muss die Mutter der Angeklagten ihre Tochter in den Arm nehmen. Der Richter unterbricht die Verhandlung mehrfach.

Aufnahmen als Beweismittel

Dieser Prozess ist für den Richter in vielfacher Hinsicht besonders. Er hat eine Privatklage zu verhandeln, was in seinen mehr als 20 Jahren Tätigkeit am Amtsgericht nur äußerst selten vorkomme. In diesem Fall klagt nicht die Staatsanwaltschaft an, sondern eine private Person. Der Prozess findet ohne anwaltliche Vertretung statt.

In seinen Unterlagen hat der Richter am Verhandlungstag Bildschirmaufnahmen von Kommentaren und Postings. Alles Beweismittel, alles inzwischen nicht mehr auf der Gedenkseite für Kevin zu finden. Es geht um einen Beitrag bei Facebook vom 2. August 2024, bei dem die Angeklagte in den Kommentaren Kevins Eltern als „Alkis“ bezeichnet haben soll. Zudem sei behauptet worden, diese hätten ihn vor seinem Tod in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht und nach seinem Tod die Beisetzung im engen Kreis organisiert, ohne dessen Freunde oder seine Ex-Freundin. „Ja, es stimmt, ich habe das gemacht“, räumt die 36-Jährige die Kommentare ein, die in der Anklage unter Beleidigung und Verleumdung verschlagwortet sind. Sie habe auf einen Kommentar von Kevins Mutter reagiert. „Ich habe viele böse Sachen über mich ergehen lassen“, erklärt sie dem Richter. „Doch ich bin auch nur ein Mensch, und dann ist eben dieser Punkt erreicht, wo ich mich einfach nur noch wehre“, ergänzt sie und bricht in Tränen aus.

Im Prozess wird klar, dass das Verhältnis zwischen der Angeklagten und den Eltern von Kevin schon eine ganze Weile zerrüttet gewesen sein muss. Als der junge Mann starb, sei sie als Mutter seines kleinen Sohnes berechtigt gewesen, dessen Beerdigung zu organisieren, sagt Jana P.. Doch das hätten die Eltern übernommen. Auf dem Friedhof sei sie angefeindet worden, man habe Blumen und Kerzen von ihr zum Gedenken an den Ex-Freund weggeschmissen.

„Das war meine große Liebe“, führt Jana P. unter Tränen aus. Kevins Eltern hätten ihr die Schuld an seinem Tod gegeben, erklärt sie. Elke S. schüttelt entsetzt den Kopf. Immer wieder geraten die Frauen im Gerichtssaal verbal aneinander. Dann sagt der Richter: „Jetzt reicht es aber.“

Der Richter findet deutliche Worte, die sich nicht nur auf den konkreten Fall beziehen, sondern auch eine generelle Einordnung beinhalten. „Die Leute verlieren das Gefühl für das Tatsächliche“, sagt der Strafrechtsexperte mit Blick auf Hass und Hetze in sozialen Netzwerken. „Und ich muss mich mit diesen Sachen immer häufiger auseinandersetzen.“ Früher sei klar gewesen: „Wenn jemand stirbt, ist Ruhe im Karton.“ Doch hier sei nach einem fundamentalen Schicksalsschlag den Eltern die Ruhe genommen worden, ergänzt der Jurist. Mehrfach spricht er von „diesem Mist-Internet“.

Die Sache ist zu verfahren, ordnet der Richter ein. Eine gütliche Lösung ist nicht in Sicht. Er sieht die Tatbestände als erfüllt an und verurteilt Bürgergeld-Bezieherin Jana P. wegen Verleumdung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen je 15 Euro.

„Es ist schwer, im Allgemeinen etwas dazu zu sagen“, erklärt der Richter nach der Urteilsverkündung. Er wolle es dennoch versuchen: „Das Gefühl des Miteinander-Sprechens ist verloren gegangen.“ Und: „Die Leute haben das Gefühl für den Umgang miteinander verloren.“ Zu dem vor ihm liegenden Fall sagt er: „Hier stehen wir vor einem Scherbenhaufen.“

* Die Namen der Prozessbeteiligten sind der Redaktion bekannt. Sie wurden jedoch zu deren Schutz anonymisiert.

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