Wenn die Erschöpfung bleibt
Medizin Die Fachklinik Wolletzsee hat sich auf die Behandlung von Post-Covid-Patienten spezialisiert. Auch zwei Jahre nach dem Pandemie-Ende besteht ein Bedarf. Über Möglichkeiten und Grenzen der Reha.
Vor mehr als fünf Jahren nahm die Corona-Krise ihren Anfang. Im März 2020 wurde der erste Lockdown in Deutschland verhängt. Zigtausend Patienten starben an oder mit der Covid-19-Infektion. Im April 2023 schließlich war der „Spuk“ vorbei.
Die letzten Beschränkungen liefen zwar vor zwei Jahren im Frühjahr aus, die Pandemie wurde offiziell für beendet erklärt. Doch sie hat Spuren hinterlassen. Auf Bundesebene versucht bekanntlich seit kurzem eine Enquete-Kommission, die Krise aufzuarbeiten. Gleichzeitig kämpfen noch immer viele Patienten mit den Folgen der Infektion. Statistiken zufolge leiden mehr als eine Million Patienten bundesweit an Post Covid oder dem Long-Covid-Syndrom.
Herausforderung auch für Klinik
Auf die Behandlung dieser Klientel hat sich unter anderem die Fachklinik Wolletzsee, die zum regionalen Klinikverbund GLG gehört, spezialisiert. Seit 2022 werden in der Reha-Klinik bei Angermünde Betroffene aufgenommen. Die dortige neurologische Abteilung hat dafür ein Diagnostik- und Therapiekonzept entwickelt, das sich von der „herkömmlichen“ Reha deutlich unterscheidet. Darüber berichtete Chefarzt Dr. Christian Brüggemann jetzt auf einem Symposium mit dem Titel „Post Covid – Herausforderungen und Perspektiven“ in Eberswalde.
Früher, so erzählt der Chef-Neurologe eingangs mit einem Schmunzeln, habe es in Klinik-Bewertungen häufig geheißen: „Es ist so langweilig in Wolletz.“ Jetzt, mit und nach Corona, lese man immer öfter: „Es ist so schön ruhig. Wunderbar.“ Dies mache den Wandel, aber eben auch die Bedürfnisse der Betroffenen deutlich, denen die Klinik Rechnung tragen wolle.
Am Anfang habe man zu viel gemacht bzw. angeboten. Doch: Viel hilft nicht viel. Jedenfalls nicht bei Post-Covid-Patienten. Im Gegenteil. Dies habe auch das Team erst lernen und verstehen müssen. Ebenso wie die Betroffenen selbst. Pacing-Strategien, Energiemanagement üben. Das sei eines der Hauptziele der Reha. Soll heißen: Lernen, mit den Kräften zu haushalten. „Damit der ohnehin schwache Akku nicht schon am Mittag leer ist“, macht der Experte an einem Vergleich deutlich.
Nach Wolletz kämen zumeist vormals im Berufsleben stehende, sehr motivierte und leistungsfähige Patienten, die aufgrund von Post Covid bereits seit langer Zeit krankgeschrieben sind. Und bei denen oft eine soziale Entscheidung ansteht. Etwa die Erwerbsminderungsrente.
Zu den Hauptsymptomen der Betroffenen würden kognitive Einschränkungen wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisschwierigkeiten sowie vegetative Funktionsstörungen, Schmerzsyndrome und Schlafstörungen zählen. Vor allem aber eine pathologische Erschöpfbarkeit (Fatigue). Eine Verschlechterung nach Alltagsbelastungen für Tage bis Wochen, die Mediziner sprechen von einer postexertionellen Malaise (PEM), sei ganz typisch für Post-Covid-Patienten.
„Wir machen keine kausale Therapie“, so Dr. Brüggemann. Vielmehr ginge es um Stabilisierung und eine Krankheitsakzeptanz. Sowie erwähntes Energiemanagement. Lernen, „sich helfen zu lassen“, so der Chefarzt. Das von der Klinik 2022 erarbeitete und von der Rentenversicherung anerkannte Behandlungskonzept sehe in der ersten Woche beispielsweise vor allem Entspannung, Austausch, sofern nötig weiterführende Diagnostik sowie nur „leicht konditionierende Maßnahmen“ vor.
In der Folge, je nach ganz individuellem Leistungsvermögen und Belastbarkeit, aufbauende, aktivierende Therapien. Etwa Ergometer-, Motomed- oder Terraintraining. Dabei kommt in Wolletz auch Robotik-unterstützte Bewegungstherapie zum Einsatz. Dazu immer wieder Gesprächsgruppen sowie neuropsychologische Angebote. Wichtig: „Die Patienten dürfen Behandlungen abbrechen. Oder absagen“, betont Dr. Brüggemann. Um sich eben nicht zu überfordern, zu spüren, wo die eigenen Grenzen sind.
Ergänzend gebe es die Option beispielsweise der Atem- und Sprechtherapie, Yoga, Meditation oder manuelle Lymphdrainage. Zudem bestehe die Möglichkeit der medikamentösen Therapie, um Symptome zu lindern. Dabei, so Dr. Brüggemann, könnten auch sogenannte Off-Label-Präparate, also Arzneimittel, die eigentlich für eine andere Indikation entwickelt wurden, zum Einsatz kommen.
Innerhalb der neurologischen Klinik habe man für die Post-Covid-Patienten eine eigene Abteilung mit 15 Betten geschaffen. In Zimmern, möglichst ruhig gelegen und in Fahrstuhlnähe. 2024 habe die Klinik 160 Rehabilitanden mit dieser Indikation aufgenommen und behandelt. Damit sei Post Covid – nach Schlaganfall – inzwischen die zweithäufigste Diagnose in der neurologischen Abteilung gewesen.
In der Regel blieben die Betroffenen, die aus dem gesamten Bundesgebiet kommen, fünf Wochen. Und die Wartezeit auf einen Reha-Platz in Wolletz liege nach wie vor bei zwei bis drei Monaten, was den anhaltend hohen Bedarf deutlich macht. Patienten mit wirklich sehr schweren Verläufen, so die Erfahrung der Klinik, würden eher nicht von der Reha profitieren. Betroffene mit nicht ganz so schwerer Symptomatik hingegen schon. Zum Teil von den aktivierenden Therapien, insbesondere aber in puncto Krankheitsakzeptanz sowie Energiemanagement.
Das Gros, so Brüggemanns Einschätzung, könne leider nicht in den Beruf zurückkehren. Ein kleiner Teil, vielleicht zehn bis 15 Prozent, würde mit der Erkenntnis entlassen, im Job kürzertreten zu müssen. Also teilweise Erwerbsminderungsrente und Teilzeitarbeit. Wichtig, so eine weitere Erfahrung, sei für viele Patienten das Gefühl, überhaupt gesehen zu werden. Gesehen und anerkannt zu werden, mit ihren gesundheitlichen Schwierigkeiten.
Die neurologische Abteilung der Rehaklinik verfügt über insgesamt 120 Betten, wovon 20 auf die sogenannte Frühreha-Phase B entfallen, die Krankenhausstatus haben. Gerade wurde die Klinik unter anderem für die Post- und Long-Covid-Reha vom „Stern“ mit dem Siegel „Deutschlands ausgezeichnete Rehakliniken“ 2025/26 geehrt. Wilbert Geschwentner, ein Betroffener, sagt: „Jeder kleine Schritt ist ein Schritt nach vorn. Und auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.“ So versucht der Mecklenburger, sich nach Corona zurück ins Leben zu kämpfen. Und mit ihm viele andere.