„Heute ist Geld der Zensor“
Kabarett Lothar Bölck steht seit 50 Jahren auf der Bühne. Jetzt geht er mit seinem Programm „Endspiel mit Verlängerung“ auf Tour. Ein Gespräch über Inspiration, Konkurrenz und wie er 1988 verboten wurde.
Er ist einer der dienstältesten Kabarettisten Deutschlands. Seit einem halben Jahrhundert steht Lothar Bölck auf der Bühne, hat das DDR-Kabarett mitgeprägt und sich nach der Wende auch im Westen einen Namen gemacht – unter anderem durch Fernsehreihen wie „Die drei von der Zankstelle“ oder „Kanzleramt Pforte D“. Am 21. Oktober 2025 hat sein neues Soloprogramm „Endspiel mit Verlängerung“ im Frankfurter Kleist-Forum Premiere. Thomas Klatt sprach mit dem Künstler, der in Frankfurt (Oder) lebt.
Herr Bölck, Ihr neues Soloprogramm „Endspiel mit Verlängerung“ klingt eher nach einem Fußballspiel als nach Kabarett.
Das ist mehr ein Zufall. 2026 findet zwar die Fußball-WM statt, … ich aber behaupte, natürlich satirisch, dass wir uns auf dieser Welt im Endspiel befinden. Krieg gegen Frieden, Diktatur gegen Freiheit, Wahnsinn gegen Vernunft, das sind die Endspiele dieser Zeit. Ich hoffe für uns Menschen, dass keines verlorengeht.
Aber ist das noch zum Lachen?
Satire soll über das Lachen zum Denken anregen. Bei mir findet zwischen Kalauer und Kernsatz alles statt. Man muss als Kabarettist gerade mit dem Bösen Schindluder treiben. Tragik und Komik bedingen sich und schließen sich aus.
Sie haben zu DDR-Zeiten Ökonomie studiert. Nicht gerade ein beliebter Beruf in der Mangelwirtschaft.
Doch. Gut, zuerst wollte ich ja Archäologe werden. Aber Scherben sammeln und sie putzen, das konnte ich mir dann doch nicht recht vorstellen. Dann wollte ich Architektur studieren, da herrschte ein Riesen-Andrang auf die Studienplätze. Ich steckte willkürlich meinen Finger in den Studienführer und landete im „Außenhandel“. Prima dachte ich, das machste, kommste mal in den Westen.
Und? Hat’s geklappt?
Leider nicht, ich hatte eine Westtante. Ergo Reiseverbot. Trotzdem habe ich drei Jahre im Außenhandel dem Westen Spielwaren und Sportartikel verkauft. Aber rüber ließ man mich nicht.
Wann ist die Entscheidung gereift, von der Ökonomie ins Kabarett zu wechseln?
Das fing schon in der Hochschule in Berlin-Karlshorst an. Wir gründeten das Studentenkabarett „Die Ökognome“. Ursprünglich wollten wir uns „Murxisten“ nennen, aber das wollten die Genossen überhaupt nicht. Vom Studentenkabarett wurde ich von den „IHbetikern“ wegengagiert, einem der beliebtesten Amateurkabaretts der DDR. Man muss wissen, dass es 1976 einen Politbürobeschluss der SED gab, der besagte, dass jede Bezirksstadt ein professionelles Kabarett zu gründen habe. In Frankfurt (Oder) war man misstrauisch ...
… in Cottbus auch
...und schloss die Kabaretts an die vorhandenen städtischen Theater an. Die professionellen Schauspieler konnten mit Kleinkunst jedoch nicht viel anfangen. So holte man nach Frankfurt (Oder) einen erfahrenen Amateur auf die Bühne - für mich ein Glücksfall. Ich kam also zu den „Oderhähnen“ nach Frankfurt. 1983 hatte ich dort meine erste Premiere mit dem Programm „Bürger, schützt eure Anlagen!“. Nach mehreren Stationen bei anderen namhaften Kabarett-Ensembles wurde ich 2005 zum Solokabarettisten.
Wir erleben in diesen Wochen viele offizielle Feiern zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit. Ist Deutschland kabarettistisch vereint?
Im MDR hatte ich 20 Jahre lang Kabarett gemacht – zehn Jahre die „Drei von der Zankstelle“ und weitere zehn Jahre war ich der Pförtner in „Kanzleramt, Pforte D“. Dazu Gastauftritte bei den „Mitternachtsspitzen“, bei „Schleich-Fernsehen“ und bei „Alfons“. Aber das ist ein paar Jahre her. Heute schreibe ich zwar für Kabarettkollegen von uns drüben, aber ich fürchte leider, dass sich Ost und West auch beim Kabarett auseinanderleben. Bundeskanzler Merz jedenfalls hat bei der diesjährigen Einheitsfeier in Saarbrücken kein substantielles Wort über den Osten gesagt. Es hörte sich so an, als wolle er sich mit Frankreich wiedervereinen.
Kabarettisten bleiben wieder unter sich, wie früher?
1989/90 kamen viele West-Kollegen nach Leipzig in die Pfeffermühle und wollten mal „richtiges“ Kabarett sehen. Wir haben uns in den Armen gelegen und später in die Wolle gekriegt. Heute geschieht beides weniger. Man begegnet sich zu selten.
Muss ein politischer Kabarettist ein moralischer Künstler sein?
Durchaus und doch wieder nicht. Wir Ostkabarettisten haben gelernt, mehrdeutig zu formulieren. Das Publikum holt sich so die Erkenntnis, den Aha-Effekt und den Witz zwischen den Zeilen selbst. Generell gilt: Man sollte Mensch bleiben und daraus seine politische Position beziehen und offen aussprechen. Sprache ist hörbar gemachtes Denken.
Wurden Sie in der DDR auch mal verboten?
Ich probte 1988 mit meinem Bühnenpartner Hans-Günther Pölitz von den Magdeburger Kugelblitzen das Stück „Der Fortschritt ist hinter uns her“. Es spielte im Gerichtssaal, ich war der Gerichtsdiener und es fehlte das obligatorische Honecker-Bild. In meiner Rolle musste ich es besorgen und kam rein mit dem Satz: Wo hängen wir ihn auf? Nach heftigen Diskussionen mit der Abnahmekommission schrieb Pölitz den Satz um. Der hieß dann: Ist Honecker hier eigentlich noch angebracht? Das Programm wurde abgesetzt. Am vermeintlichen Premierentag standen wir am Einlass und haben den Leuten sagen müssen: Aus technischen Gründen fällt der Fortschritt aus. Ab und an konnte man in der DDR den Zensor austricksen. Heute ist der große Zensor das Geld. Und Geld kann man nicht überrumpeln.
1983 hatte ich meine erste Premiere bei den „Oderhähnen“ in Frankfurt (Oder). Lothar Bölck, Kabarettist