207 Euro Verdienst im Monat bei 30 Wochenstunden
Integration Mehr als 6000 Menschen mit Behinderungen arbeiten in Brandenburg in geschützten Werkstätten – bei einem Stundenlohn von unter 1,50 Euro. Freie Wohlfahrts- und Behindertenverbände fordern die Anhebung der Entgelte.
Robert ist Anfang der 1980er-Jahre mit einem Downsyndrom geboren worden. Lange haben seine Eltern damals darum gekämpft, dass der Junge einen DDR-Kindergarten besuchen durfte und später eine Förderschule bis zur 8. Klasse. Robert kann einfache Sätze lesen und auch ein wenig schreiben. Er puzzelt gern, baut mit Legosteinen und spielt wie ein Profi Rummikub.
Nur mit dem Rechnen hat er es nicht so. Wenn seine Mutter ihn mit einem Zehn-Euro-Schein zum Bäcker schickt, um Kuchen zum Nachmittagskaffee zu holen, dann kommt er mit dem Wechselgeld zurück und ist stolz, weil er ja nun „viel mehr Geld“ mit nach Hause bringt, als er zuvor hatte ... Und wenn in der Werkstatt für Behinderte, in der er arbeitet, Zahltag ist, dann jubelt der inzwischen 42-Jährige: „Ich bin reich!“ Monatlich wird ihm ein Betrag von 207 Euro überwiesen – bei 30 Arbeitsstunden in der Woche im Zwei-Schicht-System.
Damit liegt Robert noch unter dem durchschnittlichen Verdienst. Wer in der Bundesrepublik in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, verdient im Schnitt 220 Euro im Monat. Das macht einen Stundenlohn von etwa 1,46 Euro. Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland beträgt aktuell zwölf Euro pro Stunde.
Bundesweit bieten rund 700 Hauptwerkstätten an mehr als 3000 Standorten Beschäftigungsmöglichkeiten für insgesamt etwa 270.000 Menschen mit Behinderung. Dabei weisen 3,48 Prozent der Beschäftigten eine körperliche Behinderung auf, 20,95 Prozent eine psychische Behinderung und 75,57 Prozent eine geistige Behinderung.
Nach Sozialgesetzbuch IX sollen die Werkstätten denjenigen Menschen mit Behinderung, die wegen der Art oder der Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt und dem Arbeitsergebnis anbieten; zudem soll ihnen ermöglicht werden, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
In Brandenburg gibt es 142 Behindertenwerkstätten mit knapp 6100 Beschäftigten. Eine der größten Einrichtungen dieser Art ist die Hoffnungstaler Werkstätten gGmbH in Biesenthal (Barnim). Sie bietet an acht Standorten in Brandenburg rund 900 Menschen mit Behinderung Teilhabe am Arbeitsleben, darunter in der industriellen Fertigung mit Holz- und Metallverarbeitung, im Betrieb Grün mit Baumschule, Zierpflanzenbau, Bio-Gärtnerei sowie Garten- und Landschaftsbau, in der Molkerei oder im Service- und Dienstleistungsbereich. Mit ihren sechs Betrieben sei die Hoffnungstaler Werkstätten gGmbH eine der wirtschaftsstärksten Werkstätten in Brandenburg, stellt Geschäftsführer Ludwig Pagel fest.
Wie alle Werkstätten zahlt auch die Hoffnungstaler an ihre Beschäftigten das Entgelt aus den erzielten Arbeitsergebnissen. Es setzt sich aus einem Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag zusammen. Der Grundbetrag beträgt seit Januar 2023 mindestens 126 Euro. Die Höhe des Steigerungsbetrages variiert bei den unterschiedlichen Beschäftigten und bemisst sich nach der individuellen Arbeitsleistung. Zusätzlich erhalten einige Beschäftigte noch ein sogenanntes Arbeitsförderungsgeld (AFöG) von derzeit 52 Euro monatlich.
Seit geraumer Zeit treten die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM), Freie Wohlfahrtsverbände und Werkstatträte in ganz Deutschland dafür ein, dass die Entgelte für Behinderte so angehoben werden, dass sie nahe an den gesetzlichen Mindestlohn herankommen. Dazu müssten allerdings die rechtlichen Grundlagen geändert werden. Eine derart enorme Anhebung der Vergütung wäre für die meisten Behindertenwerkstätten wirtschaftlich nicht tragbar.
Für Entgelt aus einer Hand
Auch Ludwig Pagel sagt das. Dennoch tritt der Geschäftsführer der Hoffnungstaler Werkstätten GmbH dafür ein, dass die Beschäftigten in den Werkstätten ein solches „Entgelt aus einer Hand“ erhalten. Dazu müssten aus seiner Sicht lediglich Leistungen, wie beispielsweise die Grundsicherung, auf die Behinderte Anspruch haben, Wohngeld und Ähnliches, zusammengeführt werden. „Das wäre ein Ausdruck für die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber den Menschen, die in den Werkstätten arbeiten“, ist er überzeugt.
Robert, der bereits seit 16 Jahren in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt ist und in verschiedenen Bereichen gearbeitet hat, darunter in einer ausgegliederten Wäscherei und im Gartenbau, bezieht inzwischen Rente und kommt mit dem Entgelt, das er für seine Arbeit erhält, auf ein monatliches Einkommen von rund 1200 Euro.
Kommentar
Die Anhebung der Entgelte auf Mindestlohnniveau ist für Werkstätten kaum tragbar.