Sauberes Abwasser hat seinen Preis
Versorgung Im Klärwerk Schönerlinde werden viele Millionen Euro investiert, um gefährliche Spurenstoffe zu filtern. Bisher tragen vor allem die Gebührenzahler die Kosten. Nun sollen nach einer neuen EU-Richtlinie die Verursacher mitbezahlen.
Im Klärwerk Schönerlinde wächst derzeit Deutschlands größte Ozonungs- und Flockungsfiltrationsanlage. Während draußen die Baukräne arbeiten, geht es in Berlin und in Brüssel um eine entscheidende Frage: Wer bezahlt dafür, dass Arzneimittelreste, Kosmetika und andere Chemikalien künftig nicht mehr im Wasser landen – die Hersteller oder die Gebührenzahler?
„Bisher war die Abwasserwirtschaft immer der Reparaturbetrieb der Gesellschaft“, sagt Pressesprecher Stephan Natz von den Berliner Wasserbetrieben. „Nun geht es endlich um das Verursacherprinzip.“
Bislang tragen vor allem die Bürger über ihre Abwassergebühren die Kosten. Mit der neuen EU-Richtlinie könnte sich das ändern: Hersteller sollen künftig mitbezahlen. Doch die Pharmabranche wehrt sich und hat im März Klage gegen die EU Kommunalabwasserrichtlinie (KARL) eingereicht. Der Verband Pharma Deutschland spricht von einer Gefahr für die Versorgungssicherheit.
Gerhard Mauer, Leiter der Berliner Abwasserentsorgung, hält dagegen: „Wenn ein Hersteller ein Produkt auf den Markt bringt, dann sollte er auch für die Reinigung der Rückstände im Wasser mit aufkommen. Bis jetzt zahlt der Bürger die Abwassergebühren, die am Ende daraus resultieren.“
Für private Haushalte sind es oft ganz alltägliche Produkte – Schmerzgel, Antibabypille oder Kosmetik –, die später im Abwasser landen. „Die Stoffe, die wir als Kunden nutzen, werden direkt in das Abwasser gespült“, erklärt Mauer. Im Fall Schönerlinde zeigt sich das in den Messwerten des Tegeler Sees, in dem das Klarwasser am Ende landet, nachdem es von der Oberflächenwasser-Aufbereitungsanlage (OWA) Tegel nochmals gereinigt wurde. „Diese Stoffe bleiben lange im System, sie reichern sich an. Wer auf KARL wartet, verpasst den Moment – wir müssen jetzt handeln“, warnt er.
Doch es geht nicht nur um das Heute. „Wir wissen schon ziemlich viel über Kosmetika, Pestizide und Arzneimittel“, ergänzt Pascale Rouault, Chefin des Kompetenzzentrums Wasser Berlin. „Aber die eigentliche Frage ist: Was sind die Spurenstoffe der Zukunft? Wir wissen nicht, was die Pharma- oder Chemieindustrie in den nächsten Jahrzehnten entwickelt. Die Industrieeinleiter haben schon Vorgaben, die Arznei- und Kosmetikbranche dagegen nicht.“
Darum müssen Klärwerke für Jahrzehnte vorausdenken. „Ein Klärwerk muss für mindestens drei Generationen gebaut werden“, betont Mauer. „Wir bauen eine Technik, die heutige Stoffe entfernt und gleichzeitig flexibel auf die Spurenstoffe von morgen reagieren kann.“
Für viele stellt sich die Frage: Bleiben die Abwassergebühren bezahlbar? „Die rechtlichen Mindestanforderungen an die Abwasserreinigung reichen uns nicht. Berlin muss wegen seiner besonderen Wasserlage deutlich mehr leisten“, sagt Klima- und Umweltstaatssekretär Andreas Kraus.
Er verweist auf das Uferfiltrat, aus dem rund 70 Prozent des Trinkwassers der Hauptstadtregion gewonnen werden. „Wer morgens seine Kaffeemaschine füllt, trinkt direkt aus diesem Kreislauf. Umso wichtiger ist es, dass das Wasser bestmöglich gereinigt wird.“
Mit dem Ausbau in Schönerlinde gehe Berlin bewusst voran – obwohl die EU-Richtlinie erst ab 2045 greift. „Wir wollen zeigen, dass es geht – und wir wollen frühzeitig handeln“, so Kraus.
Die neue Kommunalabwasserrichtlinie der EU – kurz KARL – sieht erstmals eine Herstellerbeteiligung vor. Bis zu 80 Prozent der Investitionen könnten künftig von der Pharma- und Kosmetikindustrie getragen werden. Doch solange die Klage der Pharmaindustrie läuft, ist unklar, ob und wann diese Regelung wirklich greift.
Die Berliner Wasserbetriebe gehen deshalb in Vorleistung. Allein in Schönerlinde kostet der Ausbau der vierten Reinigungsstufe fast 180 Millionen Euro. Bis 2040 sollen auch die anderen Klärwerke nachgerüstet werden – Investitionen von geschätzten 500 Millionen Euro.
„Eine Herstellerbeteiligung ist für uns zentral, denn bisher tragen in erster Linie die Steuerzahler die Kosten. Die Hersteller sind jedoch verantwortlich für die Stoffe, die sie in die Umwelt bringen. Deshalb hoffen wir, dass die Regelung bald greift und unser Budget entlastet. Bis dahin gehen wir in Vorleistung“, erklärt Berlins Abwasserchef Gerhard Mauer.
Für Hausbesitzer heißt das: Kurzfristig tragen sie die Last über ihre Gebühren, langfristig könnte KARL die Hersteller in die Pflicht nehmen.
Eine weitere Entlastung könnte ein Umwelt-Ampelsystem bringen. Das Umweltbundesamt hat gemeinsam mit Partnern ein Konzept vorgelegt, das Medikamente nach Umweltverträglichkeit klassifiziert. Grundlage sind europäische Zulassungsdaten.
Rund zwei Prozent aller Präparate würden eine rote Markierung erhalten – darunter bekannte Wirkstoffe wie Fluticason oder Mometason. Ärzte und Apotheken könnten so leichter umweltfreundlichere Alternativen verschreiben. Das senkt den Reinigungsaufwand und langfristig auch den Kostendruck auf die Gebührenzahler.
„Unsere Hoffnung ist, dass die Industrie von Anfang an Stoffe entwickelt, die auch im Klärwerk abbaubar sind“, erläutert Mauer. „Es muss den Menschen und auch der Industrie einen Anreiz geben, darüber nachzudenken, welche Stoffe sie einsetzen. Nur so erreichen wir eine Lenkungswirkung“, ist er überzeugt.
Für Bernau ist die Debatte keine ferne Brüsseler Auseinandersetzung. Das Abwasser der Stadt wird in Schönerlinde gereinigt. Ob die Kosten künftig über höhere Nebenkosten oder über Herstellerbeteiligungen getragen werden, entscheidet sich in den nächsten Jahren.
Der Ausbau der vierten Reinigungsstufe in Schönerlinde kostet 180 Millionen Euro.