Der große Hype um Molke

  • Eine Frau schüttet Molke der sogenannten Dickete in einen Eimer. Foto: dpa

Lebensmittel Mittlerweile ist die Flüssigkeit wichtiger als der Käse. Was das mit der Nachfrage nach Eiweiß zu tun hat – und welche Rolle sie bei der Herstellung von Medikamenten spielt.

Vor 40 Jahren war Molke für die Hersteller von Quark und Käse vor allem ein lästiger Kostenfaktor. Wie entsorgt man die wässrige Flüssigkeit so günstig wie möglich? „Molke war ein Abfallprodukt, bis Mitte der 1980er-Jahre“, sagt Torsten Sach, Referent beim Milchindustrieverband. Heute gilt: „Die Molkeverwertung ist für alle deutschen Käsehersteller essenziell.“ Früher sei es darum gegangen, guten Käse zu produzieren. Molke sei das Nebenprodukt gewesen, das in der Tierfütterung verwendet wurde, erläutert Sach. „Heute wird Käse so produziert, dass Molke in einer Qualität herauskommt, die eine optimale Weiterverarbeitung zulässt.“

Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Der Hype um die Flüssigkeit, die reich an Laktose, Vitaminen und Mineralien ist, hat viel mit gewandelten Essgewohnheiten zu tun. Molke kombiniert sehr viel Eiweiß mit wenig Kalorien. Für viele fitnessorientierte Verbraucher heutzutage die optimale Mischung. Der Proteinhype führt unter anderem dazu, dass Unternehmen auf bestehende Produkte „High Protein“ schreiben – und für denselben Inhalt auf einmal 40 Prozent mehr verlangen.

Möglich wurde der Molke-Boom erst durch technischen Fortschritt. In den 1980er-Jahren habe die Filtertechnik einen riesigen Sprung gemacht, erklärt Sach, zehn Jahre später noch einmal. „Der Molke konnten einzelne übrig gebliebene Eiweiße entzogen werden.“

Die damit verbundene tiefgreifende Veränderung der Milch­industrie ist dementsprechend auch kein deutsches Phänomen. In den USA hat sich der Preis für ein Pfund Molke von drei Dollar vor fünf Jahren auf zehn Dollar mehr als verdreifacht. Die Schätzungen des US-Marktvolumens schwanken zwischen fünf und zehn Milliarden Dollar. Einig sind sich die Analysten darin, dass sie in den kommenden zehn Jahren eine Verdoppelung der Summe erwarten.

Genaue Zahlen sind für Deutschland schwer erhältlich, weil es sich bei der Verarbeitung von Molke hauptsächlich um ein Geschäft zwischen Unternehmen handelt, die kein Interesse daran haben, ihre Preise zu veröffentlichen.

Boom in den USA

Optimistische Schätzungen wie die des Marktforschungsunternehmens Grand View Research gehen davon aus, dass in Deutschland 2024 allein mit Molke ein Umsatz in Höhe von 550 Millionen US-Dollar gemacht wurde. 2030 sollen es schon über 900 Millionen werden.

In den USA boomt Molke auch wegen den Abnehmspritzen, die dort schon lange nicht mehr nur von Diabetikern, Hollywoodstars und Tech-Milliardären genutzt werden, sondern ein Produkt für die breite Masse sind. Ärzte in den USA empfehlen bei der Nutzung von Ozempic, Wegovy & Co., sich zusätzliche Proteinquellen zu suchen – hier kommt dann wieder Molke ins Spiel. Diesen Trend spürt die deutsche Milchindustrie nicht, im Gegenteil.

„Das ist eher ein amerikanisches Phänomen“, sagt Sach. In Deutschland hätten die Abnehmspritzen nur mittelbar Wirkung, beispielsweise auf die Süßwarenindustrie – und das negativ. Bedeutet: Dünnere Amerikaner sind für die deutschen Käsehersteller schlecht fürs Geschäft.

Proteine sind deswegen so beliebt, weil sie als gesund gelten. Aber während man den zusätzlichen Nutzen von besonders eiweißhaltigen Lebensmitteln für die Teile der Bevölkerung, die nicht Muskeln aufbauen wollen oder müssen, hinterfragen kann, ist der gesundheitliche Mehrwert von Molke für den Körper unstrittig. Sie enthält essenzielle Aminosäuren, die den Muskelaufbau und die Regeneration unterstützen können. Einige Studien deuten an, dass Molkenprotein helfen kann, den Blutdruck und den Cholesterinspiegel zu senken.

Den vielleicht größten Nutzen könnte Molke, mit der Aminosäure Leucin angereichert, für ältere Menschen haben. Sie hilft, Muskelmasse zu steigern – ohne Krafttraining. Das Potenzial sei vor allem bei der Prävention von Muskel­abbau bei Bettlägerigkeit groß, betont Reto W. Kressig, emeritierter Professor für Altersmedizin an der Universität Basel. „Die klinischen Resultate sind beeindruckend“, sagt Kressig dieser Zeitung.

Das sind potenziell auch gute Nachrichten für die Käsereien. Denen geht es derzeit relativ gut, allerdings beobachtet die Branche sinkende Käsepreise. Und der Preis für Milch schwankt sowieso. Molke helfe dabei, den Milchauszahlungspreis um mehrere Cent pro Liter zu stabilisieren, sagt Sach.

Wobei sich die Milchindustrie nicht nur Stabilität in der Kalkulation, sondern kräftiges Wachstum von dem früheren Abfallprodukt verspricht. „Molkekonzentrat wird für Arzneimittelgrundstoffe verwendet. Mittlerweile können wir alles aus der Molke herausholen. Babynahrung, Energydrinks, Eiweißlebensmittel für die Pumper in den Fitnessstudios – das ist alles mit Molkenprotein“, sagt Sach. „Und da der Fitnessbereich weiter wachsen wird, wird auch der Molke-Markt weiter wachsen.“

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